Vorbemerkung

Angewandte Linguistik ist eine wissenschaftliche Disziplin ähnlich wie Angewandte Mathematik. Sie ist daher von der Praxis zu unterscheiden, in welcher die Ergebnisse der angewandten Wissenschaft umgesetzt werden (im Falle der Angewandten Mathematik ist das die Technik). Z.B. ist Lexikographie die Lehre von der Erstellung von Wörterbüchern. Sie ist das angewandte Pendant der Lexikologie, einer Disziplin der Systemlinguistik. Aber sie ist andererseits auch zu unterscheiden von der tatsächlichen Herstellung von Wörterbüchern. Letztere ist nicht Aufgabe der Wissenschaft, auch nicht der Lexikographie qua Disziplin. Freilich soll dies nicht heißen, daß Wissenschaftler sich mit solchen praktischen Aufgaben grundsätzlich nicht befaßten; natürlich kommt es auch vor, daß ein Spezialist in Lexikographie ein Wörterbuch verfaßt.

Die Anwendungen der Linguistik sind so vielfältig wie ihr Gegenstandsbereich. Bei ihrer Abfolge wird hier steter Bezug auf die in den Kapiteln 3 – 12 dargestellten Subdiziplinen der “reinen Linguistik” genommen.

Sprachbeschreibung und -dokumentation

Sprachbeschreibung ist, streng genommen, dasselbe wie deskriptive Linguistik. Hier soll aber unter Sprachbeschreibung die Erstellung von Grammatiken, Wörterbüchern und sonstigen sprachkundlichen Materialien für den Endanwender verstanden werden, und das ist sicherlich eine Anwendung dessen, was deskriptive Linguistik zu erzeugen pflegt.

Die Abfassung von Lexika (Wörterbüchern, Enzyklopädien usw.) heißt Lexikographie, und analog heißt die Abfassung von Grammatiken Grammatikographie. Eine besondere Rolle spielt hier die Aneignung von Fremdsprachen, die unten noch einmal zur Sprache kommt. Sprachlehren und allgemein sprachliche Materialien müssen je nach Konsumentengruppe ganz unterschiedlich gestaltet sein: für Kinder anders als für Erwachsene, für Lehrer anders als für Schüler und noch einmal anders für Autodidakten. Eine pädagogische Grammatik ist etwas anderes als eine systematische Grammatik (engl. reference grammar). Es gibt auch zahlreiche Typen von Lexika, z.B. einsprachige und zweisprachige Lexika, Rechtschreibwörterbücher, Synonymenwörterbücher oder Kreuzworträtselwörterbücher.

Seitdem auf der Welt die Sprachen schneller aussterben, als sie von Linguisten beschrieben werden können, ist ein besonderer Zweig entstanden, der sich Sprachdokumentation nennt. Hier geht es darum, von einer Sprache ein Korpus von Kommunikationsereignissen (Texten, Video- und Audioaufnahmen) zu erstellen, das für die in der Sprachgemeinschaft traditionelle Kommunikation repräsentativ ist, und dieses so aufzuarbeiten und zu archivieren, daß es, nachdem die Sprache ausgestorben sein wird, nicht nur Wissenschaftlern zur Auswertung und zur Anfertigung einer linguistischen Sprachbeschreibung, sondern insbesondere auch den Nachkommen der Sprecher dazu dienen kann, sich ein anschauliches Bild davon zu verschaffen, wie ihre Altvorderen die Welt erfaßt und miteinander kommuniziert haben. Da Sprachdokumentation das gesamte Sprachleben einer sozialen Gemeinschaft umfaßt, ist sie die wohl ganzheitlichste Anwendung von Sprachwissenschaft. Sie setzt sich übrigens auch oft fort in der Erstellung von Lehr- und Lernmaterialien für die Sprachgemeinschaft.

Da zu diesem Zwecke Korpora anzulegen sind, wird auch Textedition zum Geschäft der Linguistik, die bis dahin eigentlich ausschließlich in die Philologie gehörte.

Sprachlenkung

Unter Sprachlenkung werden alle Aktivitäten zusammengefaßt, die Einfluß auf die Verwendung einer Sprache in einer sozialen Gemeinschaft zu nehmen versuchen. Soweit sie die soziale Situation der Sprachgemeinschaft berücksichtigt, ist Sprachlenkung eine Anwendung der Soziolinguistik. Freilich entfernt sich diese Anwendung vielleicht am klarsten und weitesten von dem ansonsten deskriptiven Selbstverständnis der Linguistik, denn wenn man einer sozialen Gemeinschaft sagt, wie sie eine Sprache verwenden sollte, betreibt man selbstverständlich präskriptive Linguistik.

Sprachkritik ist die Analyse und Bewertung einer gegebenen Sprache oder Varietät im Hinblick auf ihre Effizienz. Die Zwecke können rein wissenschaftlicher Natur sein. Tatsächlich reichen die Wurzeln der Sprachkritik weit in der Wissenschaftsgeschichte zurück. Z.B. haben bereits im 17. Jh. die Logiker von Port Royal festgestellt, daß das Verb ‘sein’ in den natürlichen Sprachen ganz unterschiedliche logische Funktionen erfüllt, denn es markiert die Existenz, die Identität, die Subsumption und noch einiges andere. Neben dem logischen Zweck der Präzision steht der moralische Zweck, daß sprachliche Formulierungen nicht ihre wahre Absicht verschleiern oder jemandem schaden sollten. In diesem Sinne kürt eine Jury von Germanisten seit 1991 in Deutschland das Unwort des Jahres. Darunter fallen solche Wörter wie Menschenmaterial, ausländerfrei, Diätenanpassung, Rentnerschwemme. Zahlreiche gesellschaftliche Gruppierungen, vom Institute of General Semantics und der Mauthner-Gesellschaft bis hin zu Zeitungskolumnisten, haben sich der Bekämpfung der semantischen Umweltverschmutzung verschrieben (s.a. Manipulation durch Sprache). Hinter einer sprachkritischen Fassade verschanzen sich allerdings auch das seit den 1980er Jahren aus den U.S.A. zu uns geschwappte Bemühen um “politische Korrektheit” sowie die schon früher entstandene feministische Linguistik, beides Anliegen von Menschen, die gern anderen den von ihnen selbst bevorzugten Sprachgebrauch aufnötigen möchten. Dabei ist eine objektive Analyse des Sprachgebrauchs in einer Gesellschaft die Voraussetzung für eine gelungene Sprachplanung, von der weiter unten die Rede sein wird.

Unter Sprachpflege und -norm(ier)ung faßt man die Bemühungen um die Erhaltung und Verbesserung vorhandener Sprachen und Varietäten zusammen. In vielen Sprachgemeinschaften gibt es eine sprachliche Norm, die kodifiziert (festgeschrieben) und verbreitet werden soll. In einigen Staaten wurden dazu Akademien für die Nationalsprache gegründet, so etwa die Académie Française in Paris und die Real Academia Española (Königlich-Spanische Akademie) in Madrid. In Deutschland gibt es keine entsprechende nationale Institution. Der Duden wird vom wissenschaftlichen Beirat der Dudenredaktion herausgegeben, was eine Abteilung eines Mannheimer Verlages ist. Außerdem gibt es in Mannheim das Institut für Deutsche Sprache, das aber ebenfalls keinen Standardisierungsauftrag hat. Schließlich ist das Goethe-Institut zu nennen. Dieses ist eine staatliche Einrichtung, deren Auftrag die Pflege der deutschen Sprache einschließt, allerdings nicht im Sinne einer Normierung, sondern im Sinne der Verbreitung ihrer Kenntnis im Ausland.

Es gibt also Einrichtungen, die die Normierung einer Sprache zum Zweck haben. Meistens konzentrieren sie sich allerdings auf Ausschnitte des Sprachsystems, vorzugsweise das Lexikon und die Orthographie. Ausschnitte des Lexikons hat die Terminographie zum Gegenstand, d.i. die Erstellung terminologischer Wörterbücher. Zahlreiche Institutionen für Normung, so die International Organization for Standardization (ISO) und das Deutsche Institut für Normung (DIN), haben Abteilungen, die in bestimmten Bereichen die Fachterminologie standardisieren. Gelegentlich versuchen das auch Einrichtungen und Kompanien, deren Auftrag eigentlich ein anderer ist. So hat die Deutsche Post lange versucht, den Ausdruck Fernsprecher für Telefon durchzusetzen, und ähnlich wollte die Deutsche Bahn, daß wir Fahrausweis statt Fahrkarte sagen.

Die Schaffung, Standardisierung und Pflege eines Schriftsystems ist für die Kommunikation in modernen Gesellschaften unabdingbar. Für zahlreiche Sprachen, die zuvor nur zur mündlichen Kommunikation verwendet wurden, sind seit Erfindung der Schrift mehr oder minder angepaßte Schriftsysteme entwickelt worden. Ein besonders gelungener historischer Fall von Schriftentwicklung ist das Hangul ([haŋ'gɯl]), ein alphabetisches System, das König Sejong im Jahre 1446 für die koreanische Sprache entwickeln ließ. Für die meisten Sprachen ist freilich seit dem Zeitalter des Kolonialismus das lateinische Alphabet verwendet worden. Ein Schriftsystem ist allerdings weit mehr als ein Alphabet und setzt linguistische Analyse des gesamten Sprachsystems voraus. Fälle, in denen dies versäumt wurde, gibt es auf der Welt zuhauf. So versucht in Mexiko die Secretaría de Educación Pública (SEP) seit 1984 ein Alphabet für das yukatekische Maya durchzusetzen, das von keinem Schriftsystem begleitet, geschweige auf einer linguistischen Analyse des Sprachsystems gegründet ist (Lehmann 2018).

Aber auch bei Sprachen mit einer jahrhundertealten gewachsenen Schrifttradition ist die Pflege der Schrift ein kompliziertes linguistisches Geschäft. So hat die letzte deutsche Rechtschreibreform zahlreiche Linguisten und Germanisten über ein Jahrzehnt beschäftigt. Die Herausforderung besteht für den Sprachwissenschaftler gerade darin, daß man nicht systemlinguistische Prinzipien in Reinform umsetzen kann, sondern auf vielfältige soziale und kulturelle Gegebenheiten Rücksicht nehmen muß.

Die Anwendung der Soziolinguistik einer Sprache als ganzer heißt Sprachplanung bzw. – da immer, wenn der Status einer Sprache verändert werden soll, Politik im Spiel ist – Sprachpolitik. Z.B. muß in Staaten, in denen große Sprachenvielfalt herrscht, wie Mexiko (62 indigene Sprachen) und Elfenbeinküste (65 Sprachen im Jahre 2008), das Problem der Kommunikation auf nationaler oder jedenfalls überregionaler Ebene gelöst werden. In einigen der betroffenen Sprachen ist die Wahl längst zugunsten der ehemaligen Kolonialsprache entschieden. So dreht es sich in Mexiko nur noch darum, wie das Spanische als Nationalsprache überall möglichst reibungslos durchgesetzt werden kann. In anderen Staaten konkurrieren dagegen die einheimischen Sprachen um offiziellen Status. So ist in der Elfenbeinküste das Baule (eine Kwa-Sprache) die Sprache der größten Volksgruppe und also mit den meisten Muttersprachlern (2.130.000 im Jahre 1993), aber die verbreitetste Verkehrssprache ist das Djula (eine Mande-Sprache). Aus soziolinguistischer Analyse hervorgehende Empfehlungen könnnen hier leicht mit politischen Kräfteverhältnissen in Konflikt geraten. Auch in der europäischen Union wird über den Gültigkeitsbereich von Sprachen und ihre Rolle in internationaler Kommunikation entschieden. Die Regelung ist hier ziemlich liberal: Die Mitgliedstaaten bringen selber die Amtssprachen in die Union ein, die Union pflegt die Mehrsprachigkeit. Regional- und Minderheitensprachen werden geschützt. Die Europäische Kommission allerdings arbeitet in nur drei Sprachen, Englisch, Französisch und Deutsch.

Soll eine Sprache in ihrem Status und ihren Funktionsbereichen ausgebaut werden, so geht es in erster Linie um fachsprachliche Kommunikation, also um Ausbau der Terminologie und Phraseologie. Linguisten können hier helfen, indem sie untersuchen, wie in der Sprache die entsprechenden Funktionen (z.B. Abstraktion) erfüllt werden bzw. was die verfügbaren sprachlichen Mittel leisten und wie sie ausgebaut werden können.

Kommunikationsanalyse und -training

Die Methoden der Kommunikationsanalyse werden zur Diagnose und Lösung von Problemen der mündlichen und schriftlichen Kommunikation in verschiedenen Bereichen angewandt, darunter Kommunikation in Behörden oder zwischen Arzt und Patient. Z.B. wird in der psychiatrischen Diagnose aus den Formulierungen des Patienten auf Verdrängtes geschlossen. Gegenstand der Kommunikationsanalyse ist auch die Massenkommunikation, z.B. der Sprachgebrauch in der Werbung und den Massenmedien sowie die Pflege der “Public Relations”.

Linguisten sind auch in der Ausbildung und im Training im kommunikativen Bereich tätig.

Eine ganz andere Sparte der Kommunikationsanalyse ist die Forensische Linguistik. Zu den Arbeitsgebieten zählen die Bestimmung der Autorschaft von Texten, z.B. von anonymen Anrufen oder Briefen, die Bestimmung der ethnischen Herkunft von Asylbewerbern, aber auch die Analyse der Kommunikation vor Gericht oder von Verträgen.

Patholinguistik

‘Patholinguistik’ ist eine Sammelbezeichnung für jeglichen Einsatz von Linguistik bei der Erhebung und Untersuchung pathologischer Störungen der sprachlichen Kommunikation sowie bei ihrer Diagnose und Behandlung im Einzelfall. Sie ist, was die Linguistik angeht, eine Anwendung von Psycho- und Neurolinguistik sowie von Phonetik, im übrigen aber auch ein Teil der Medizin, der Neurologie und der Pädagogik. Sprachstörungen können bei Erwachsenen auftreten, die schon über Sprache verfügt hatten; sie können aber auch den Primärspracherwerb von Kindern betreffen.

Für die Diagnose und Behandlung solcher Störungen sind verschiedene Disziplinen zuständig:

Sprachlehr- und -lernforschung, Sprachdidaktik

Sprachlehr- und -lernforschung ist eine Subdisziplin der Psycholinguistik, die untersucht, wie der Erst- und Zweitspracherwerb ungesteuert funktioniert und welchen Einfluß diverse Formen der Steuerung haben. Sie basiert auf einem umfassenden Begriff der Beherrschung einer Sprache, wie er in dem betreffenden Kapitel vorgestellt wird. Die Ergebnisse der Sprachlehr- und -lernforschung hinwiederum haben eine Anwendung in der Sprachdidaktik.

Zur Ausbildung in Muttersprachdidaktik gehört zunächst die Sprechkunde, eine angewandte Disziplin, die Phonetik (Stimmschulung) mit Rhetorik und Orthoepie verbindet. Orthoepie (= Orthophonie, “Rechtlautung”) ist die Lehre der normgerechten Aussprache einer Sprache. Sie sagt uns z.B., daß das deutsche /r/ einerseits nicht als [r] gerollt, andererseits aber auch nicht im Silbenreim vollständig vokalisiert [ɐ] wird, oder daß das Suffix -ig im Silbenreim in der Tat [ɪç] und nicht [ɪk] gesprochen wird. Orthoepie kommt nicht nur in der Ausbildung von Muttersprachlehrern vor, sondern spielt eine erhebliche Rolle in der Ausbildung von Schauspielern und Nachrichtensprechern.

Ferner werden Sprachentwicklungstests ausgearbeitet, die es gestatten, den normalen oder verlangsamten Verlauf der sprachlichen Entwicklung eines Kindes zu diagnostizieren. Hier kann ggf. die im Kapitel über Soziolinguistik besprochene kompensatorische Spracherziehung ansetzen. Bei der Feststellung der Lesefähigkeit kann Legasthenie diagnostiziert, und Betroffene können evtl. an die Sprachpathologie verwiesen werden.

Der Schreibunterricht setzt natürlich bei der Alphabetisierung an, also bei der Unterrichtung im Schriftsystem. Buchstabenmethode und Ganzwortmethode können als repräsentativ für die Art von psycholinguistischen Problemen in diesem Bereich stehen. Er setzt sich fort in der Literalisierung, also der Bildung im Schreiben und Lesen. Die Schreibdidaktik, wie sie sich etwa im Aufsatzunterricht der Schule niederschlägt, inspiriert sich auch aus der schon oben genannten Analyse erfolgreicher schriftlicher Kommunikation.

Die Linguistik des Zweitsprachenerwerbs untersucht die Bedingungen und den Verlauf des ungesteuerten Erwerbs von Fremdsprachen, sei es durch Eintauchen in die Sprachgemeinschaft, sei es mit autodidaktischen Methoden, und ebenso die Methoden und Erfolge von Fremdsprachenunterricht. Es werden Stufen definiert, auf denen jemand eine Zweitsprache beherrschen kann, wie z.B. in dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen; und es werden Sprachstandstests entwickelt, die es gestatten, die Sprachfähigkeit einer Person einer dieser Stufen zuzuordnen.

Kontrastive Analyse ist eine Anwendung der deskriptiven und der vergleichenden Linguistik, die die Systeme zweier Sprachen konfrontiert, welche die Rolle von Erst- und Zweitsprache im Spracherwerb haben. Aus den Gemeinsamkeiten und Unterschieden versucht man, Lernschwierigkeiten zu prognostizieren und Maximen für die Ausarbeitung von Lernmaterial abzuleiten. Ihr gegenüber steht die Fehleranalyse (nicht zu verwechseln mit der Fehlerlinguistik), welche die Erzeugnisse von Fremdsprachenlernern untersucht, die Fehler systematisiert und zu erklären versucht und daraus Maximen für die Ausarbeitung von Lernmaterial ableitet.1

Mit diesen Methoden kommt die Sprachlehr- und -lernforschung zu Ergebnissen, die für die Mutter- und Fremdsprachendidaktik relevant werden. Es wird z.B. der Sinn und Unsinn des Einsatzes von Sprachlabors im Fremdsprachenunterricht hinterfragt, und es wird gezeigt, daß der Unterricht des Sprachlehrers zwar linguistisch fundiert sein muß, ohne jedoch in der Vermittlung linguistischer Kenntnisse zu bestehen. So nimmt die Angewandte Linguistik im günstigsten (nicht allzu häufig realisierten) Falle auch Einfluß auf die Formulierung von Bildungsstandards und von Lehrplänen der Schulen.

Übersetzungswissenschaft

Übersetzungswissenschaft ("Translationslinguistik") ist eine Anwendung der vergleichenden Sprachwissenschaft, welche auf der Basis von Theorien der Systemlinguistik und der interkulturellen Kommunikation die Voraussetzungen jeglicher Übersetzung klärt und – unter Beiziehung der soeben besprochenen kontrastiven Linguistik – Bedingungen und Möglichkeiten der Übersetzung zwischen bestimmten Sprachen untersucht. Sprachliche Varietäten, und hier wieder die Fachsprachen, spielen eine wichtige Rolle. Zahlreiche Übersetzer sind auf bestimmte Fachgebiete spezialisiert, denn nach Fachübersetzung herrscht die größte Nachfrage.

Gegenstand der Disziplin ist sowohl das Übersetzen als auch das Dolmetschen, also die schriftliche und mündliche Übertragung von einer Sprache in eine andere. Dazu zählt übrigens auch das Dolmetschen zwischen gesprochener und Gebärdensprache, das an Bedeutung stark zugenommen hat. Bei der Ausbildung von Übersetzern und Dolmetschern, darunter auch Simultandolmetschern, spielt die Vermittlung von Techniken und Routinen eine erhebliche Rolle, denn es geht in gewissem Sinne nur um die Erweiterung der prozeduralen Sprachbeherrschung um einen weiteren Modus neben der produktiven und rezeptiven Richtung.

Der Text, der in die meisten Sprachen übersetzt worden ist, ist nach wie vor die Bibel. Dahinter steht die christliche Mission als mächtiger Motor der Verbreitung dieses Textes. Das Summer Institute of Linguistics (derzeit “SIL International”), die größte private linguistische Organisation der Welt, ist der linguistische Zweig der Wycliffe Bible Translators, einer missionarischen Organisation, die die Übersetzung der Bibel in alle Sprachen der Welt zum Ziel hat. Das SIL hat seit den 1950er Jahren linguistische Beschreibungen zahlreicher Sprachen der Welt angefertigt, die Voraussetzung für die Bibelübersetzung sind, stellt aber übrigens als Nicht-Profit-Organisation auch der Weltlinguistik Hilfsmittel zur Beschreibung von Sprachen zur Verfügung.

Eine spezielle Sparte, die mit der übrigen Translationslinguistik soviel wie nichts zu tun hat, ist die Entschlüsselung unbekannter Sprachen. Wann immer auf der Welt Schriftzeugnisse gefunden werden, die keiner bekannten Sprache zugeordnet werden können, entstehen die beiden Probleme, das Schriftsystem zu entziffern und die Texte zu verstehen. In den Fällen, wo dies gelungen ist – so bei der Entzifferung des Ägyptischen, des Hethitischen und des Klassischen Maya –, hat die Kombination von linguistischen mit philologischen, historischen und archäologischen Methoden zum Erfolg geführt. Mit linguistischen Methoden kann man z.B. – falls genug Material vorhanden ist – feststellen, ob eine Phonographie oder eine Logographie vorliegt. Und mit historischen und archäologischen Methoden kann man wohlbegründete Vermutungen darüber anstellen, was wohl der Inhalt der Texte sein könnte. Es bleiben übrigens noch diverse Schriftzeugnisse auf der Welt zu entschlüsseln, darunter die in iberischer Sprache, die von Mohenjo Daro und die in Linear A sowie in kretischer Hieroglyphenschrift abgefaßten minoischen Texte.

Interlinguistik

Interlinguistik ist die Lehre von den Plansprachen (auch Welthilfssprachen oder Intersprachen), eine Anwendung der vergleichenden Sprachwissenschaft. Es geht dabei um künstliche Sprachen, die mit dem Ziel der Völkerverständigung entworfen wurden und werden. Hier sind ein paar Beispiele:

Eine Plansprache auszuarbeiten ist zweifellos eine Tätigkeit der Angewandten Linguistik. Allerdings gibt es schon Hunderte davon, und die mit Abstand verbreitetste internationale Verkehrssprache ist Englisch.

Kommunikations- und Sprachtechnologie

Unter Kommunikations- und Sprachtechnologie werden hier alle technischen Anwendungen der Linguistik zusammengefaßt, die freilich gleichzeitig immer auch Anwendungen mehr technologisch ausgerichteter Disziplinen wie der Informatik und der Nachrichtentechnik sind.

Die Nachrichtentechnik ist eine Anwendung der Mathematik und Physik auf die Weisen, wie Information auf technischem Wege übertragen wird. Als Beispiel nehme man die Frage, wie stark die Übertragung der Schallwellen gesprochener Sprache eine Telefonleitung belastet, welche der akustischen Eigenschaften des sprachlichen Signals der Hörer überhaupt nutzt und welche Eigenschaften des Signals also in ökonomischer Perspektive vor der Übertragung abgeschnitten werden können.

Gegenstand der linguistischen Datenverarbeitung sind Fragen der Speicherung, Erzeugung und Analyse sprachlicher Ausdrücke durch den Computer. In diese Aufgaben gehen unmittelbar die Ergebnisse der mathematischen Linguistik, so wie in dem betreffenden Kapitel dargestellt, ein. Die deskriptive Linguistik steuert die Konzepte für die sprachlichen Einheiten und Operationen bei, die Informatik findet effiziente Wege der Implementierung. Im einzelnen geht es um Aufgaben wie die folgenden:


1 Somit sind kontrastive Linguistik und Fehleranalyse ein schönes Beispiel, um zu demonstrieren, daß unabhängige Methoden in der Wissenschaft einander ergänzen.

Literatur

Gadler 1986, Heringer & Feuerstein (eds.) 1982, Kaplan (ed.) 1980, Knapp (ed.) 2004, Kühlwein & Raasch (eds.) 1980, Wardhaugh & Brown (eds.) 1976.

Lehmann, Christian 2018, "Variación y normalización de la lengua maya". Cuadernos de Lingüística de El Colegio de México 5:331–387. [herunterladen]