Experimente wie die beiden genannten kann man wie folgt interpretieren (s. Levinson 2003): Zur Orientierung im Raum gibt es verschiedene Systeme oder Strategien. Diese sind nicht angeboren. Vielmehr ist es in einer sozialen Gemeinschaft – im folgenden vereinfacht: in einem Volk – traditionell üblich, bestimmte Strategien zu benutzen und andere zu vernachlässigen. Menschen, die in ein Volk hineingeboren werden, lernen die Raumorientierung nach den dort üblichen Strategien. Sie verinnerlichen das Gelernte und verhalten sich dann gewohnheitsmäßig so. Die jeweils vernachlässigten Alternativen stehen ihnen dann nicht mehr ohne weiteres – d.h. ohne Umlernen und extensives Training im Umfang einer Gehirnwäsche – zur Verfügung:

Die drei räumlichen Bezugsrahmen sind sehr ungleich über die Völker verteilt. Manche Völker orientieren sich fast ausschließlich absolut oder intrinsisch. Andere Völker orientieren sich fallweise nach einem von zwei Bezugsrahmen. Noch andere Völker benutzen eine Kombination von allen drei Bezugsrahmen. Nur der deiktische Bezugsrahmen reicht offenbar für sich nicht aus, sondern kommt immer mit dem intrinsischen zusammen vor.

Dieses praktische Verhalten hat sein Gegenstück im sprachlichen Verhalten; dem System der Raumorientierung entspricht das sprachliche System der Raumkonstruktion:

Jemand, der in ein Volk hineingeboren wird, lernt also aufeinander bezogen die Raumorientierung und die Raumkonstruktion. Ein einseitiger Determinismus im Sinne der Sapir-Whorf-Hypothese folgt hieraus zwar nicht. Wohl aber scheint der Schluß gerechtfertigt,

Die Theoriebildung über den Zusammenhang von Sprache und Denken kann freilich auf dieser Stufe nicht stehenbleiben. Alternative Systeme, die über die Sprachen der Welt verteilt sind, haben den Status von Varianten. Die Invariante dazu ist nicht eines dieser Systeme, sondern ein Prinzip, das über der Implementation der alternativen Systeme waltet (Näheres hierzu anderswo). Das Analoge gilt für kognitive Systeme. Die drei Bezugsrahmen stehen nicht einfach als beliebige Varianten nebeneinander. Vielmehr sind implikative Beziehungen zwischen ihnen festzustellen. Hypothesen in diesem Bereich können sich z.B. auf die Bedingungen der Anwendung eines Bezugsrahmens beziehen, etwa wie folgt:

Solche implikativen Gesetze verwandeln eine Menge alternativer Bezugsrahmen – und allgemeiner eine Menge kognitiver Strategien oder gar “Denkweisen” – in ein prinzipiengeleitetes System. Erst dieses kann dann Anspruch auf den Status einer Theorie in dem betreffenden Bereich erheben. Diese gestattet es, nicht nur die Unterschiedlichkeit und Besonderheit der Völker und ihrer Sprachen zu würdigen, sondern auch die Einheit in der Vielfalt zu sehen.