Ein Satztyp (deutsche Schulgrammatik: “Satzart”) ist eine grammatische Kategorie, somit etwas Zeichenhaftes und ist daher so wie alle Sprachzeichen zwei komplementären Ansätzen zugänglich, der onomasiologischen und semasiologischen Perspektive. Diese werden hier vorab zur Abgrenzung eingenommen.

Satztypen in onomasiologischer Sicht

Mit einer Äußerung kann man einen Sprechakt (eine Redehandlung) ausführen. Die illokutive Kraft einer Äußerung ist ihr Redehandlungswert, d.i. ungefähr

Die in einer Gemeinschaft relevanten illokutiven Akte sind in ihrer Sprache in Gestalt von Sprechaktverben auf den Begriff gebracht. Eine Teilmenge von ihnen ist auch grammatisch kodiert in Form von Satztypen. Außerdem haben Sprechaktverben syntaktische Eigenschaften wie ihre Valenz, und bei dieser insbesondere die Eigenschaft, einen Komplementsatz (s.u.) in einer bestimmten syntaktischen Konstruktion zu nehmen. Diese grammatischen Merkmale, die mit Sprechaktbedeutungen verbunden sind, bilden einen Anhaltspunkt für deren Klassifikation auf empirischer Grundlage (vgl. auch Searle 1975).

Eine Äußerung ist eine Einheit in einer Konversation oder einem Diskurs. Eine Äußerung kann aus Bestandteilen bestehen, deren jeder auch als Äußerung vorkommen kann. So ist jeder der beiden Sätze, aus denen die Äußerung B1 besteht, seinerseits als Äußerung verwendbar.

B1.Bist du denn verrückt geworden? Wenn das die Polizei erfährt!

Die illokutive Kraft kommt der Einheit der minimalen Äußerung zu. Also nicht einer größeren Einheit wie B1; aber auch nicht einer kleineren Einheit wie etwa verrückt geworden oder Polizei. Wie man sieht, sind die minimalen Äußerungen, die illokutive Kraft haben, grammatisch betrachtet Sätze. Tatsächlich läßt sich der Satz definieren als die grammatische Konstruktion, die einer minimalen Äußerung entspricht.

Wenn ein Satz losgelöst von seiner Verwendung in einer Äußerung, also bloß als grammatische Konstruktion betrachtet wird, ist er ein Systemsatz (Lyons 1977:29-31). Ein Systemsatz hat als solcher keine illokutive Kraft. Gemäß seiner grammatischen Struktur hat er jedoch ein gewisses Verwendungspotential, das man Basisillokution (Hengeveld 2004:1190f) nennen kann.

Sätze lassen sich nach verschiedenen Kriterien einteilen. Das zentrale davon ist eben ihre Basisillokution:

  1. Eine erste Einteilung ist die in solche Sätze, in denen der Sprecher eine emotionale Einstellung zu der Proposition ausdrückt, und den Rest. Die ersteren sind Ausrufesätze.
  2. Den Rest kann man unterteilen in solche Sätze, mit denen der Sprecher will, daß bezüglich der Proposition etwas geschieht, und den Rest. Die ersteren sind Aufforderungssätze.
  3. Der Rest ist auf keine besondere Funktion festgelegt; der Sprecher übermittelt lediglich den Inhalt der Proposition. Das sind die Aussagesätze.

B2 – B4 illustrieren diese drei elementaren illokutiven Kräfte:

B2.Wie findig unsere Polizei ist!
B3.Erzähl das bloß nicht der Polizei!
B4.Unsere Polizei ist besonders findig.

Die Basisillokutionen heißen deswegen so, weil sie weitere Spezifikationen durch andere sprachliche Mittel als die satztypkonstitutiven zulassen; weitere Unterteilungen nehmen wir unten in dem Abschnitt über die Phänomenologie der Satztypen vor. Sie sind auch mit Ausdrucksmitteln, die auf bestimmte illokutive Kräfte hinweisen, kompatibel und werden von diesen überlagert. Näheres dazu weiter unten.

Satztypen in semasiologischer Sicht

Nachdem ein Sprecher eine Idee gefaßt hat, die er übermitteln will, ist es seine oberste Entscheidung, was davon kodiert werden soll und was dem Hörer zur Inferenz überlassen bleiben kann (Näheres unter Kodierung). Diese Alternative betrifft schlechthin alle Inhaltseigenschaften von Äußerungen. Auch illokutive Kräfte können unkodiert bleiben. Wenn z.B. Erna zu Erwin B5.a sagt

B5.a.Wenn du noch einmal so schlecht kochst, gehen wir ins Restaurant essen.
b.Ist das eine Drohung?

so wäre B5.b eine natürliche Reaktion von Erwin. Denn die Interpretation von B5.a als Drohung basiert ausschließlich auf einer (nicht zwingenden) Inferenz, die neben der semantischen Struktur von B5.a Weltwissen usw. (in diesem Falle über die komplizierten Beziehungen zwischen Erna und Erwin) voraussetzt; d.h. die illokutive Kraft ist nicht kodiert. Dies führt auf das Gebiet der indirekten Sprechakte.

Wenn andererseits Erna zu Erwin B6.a sagt,

B6.a.Hast du den Müll rausgebracht?
b.Ist das eine Frage?

und Erwin antwortet B6.b, so ist es die Antwort, deren Interpretation Weltwissen usw. (wie oben) voraussetzt, denn B6.a ist seiner Struktur nach klärlich eine Frage. Diese Basisillokution ist in B6.a kodiert.

Ist die erste Alternative zugunsten von Kodierung entschieden, so ist die nächste Alternative, ob die betreffende Bedeutungskomponente lexikalisch oder grammatisch kodiert wird. Lexikalische Kodierung der illokutiven Kraft geschieht in Gestalt von performativen Verben.

B7.a.Ich fordere dich auf, den Müll rauszubringen.
b.Bring den Müll raus!

So übermitteln B7.a und b dieselbe Aufforderung; aber diese illokutive Kraft ist in B7.a lexikalisch, nämlich durch das performative Verb, in B7.b dagegen grammatisch, nämlich durch den Imperativ, kodiert. Tatsächlich ist im letzteren Falle nur die Basisillokution kodiert. Ob es tatsächlich eine Aufforderung, wie in B7.a, oder ein Befehl oder eine Bitte ist, hängt nicht nur von der Situation, sondern auch von der Intonation ab, deren Modulation höchstens zum Teil Sache des Sprachsystems ist.

Für die grammatische Kodierung stehen die geläufigen grammatischen Prozesse zur Verfügung. Für das Deutsche z.B. gilt u.a.:

In anderen Sprachen gibt es andere grammatische Merkmale der Satztypen. Das Tauya (Neuguinea) z.B. kodiert den Satztyp durch das letzte Suffix des Verbs (und somit am Ende des Satzes). Es gibt ein Paradigma von sechs solchen Morphemen; die durch sie unterschiedenen Satztypen heißen ‘deklarativ’, ‘interrogativ’, ‘imperativ’, ‘prohibitiv’, ‘hortativ’, ‘optativ’. Sie werden der Reihe nach in folgender Beispielserie illustriert:

In anderen Sprachen werden noch andere grammatische Mittel eingesetzt, häufig z.B. Partikeln wie im lateinischen Fragesatz:

B8.NumRomaehabitas?
INTRom(F):LOK.SGwohn:2.SG
“Wohnst du in Rom?”

Für den grammatischen Status eines Satztyps in einer Sprache ist es Voraussetzung, daß die Strukturmittel ein Paradigma bilden. Das impliziert, daß jeder Satz genau einem Satztyp angehört (d.h. es gibt keinen Satz, der keinem Satztyp angehört, und keinen Satz, der mehr als einem Satztyp angehört). Z.B. wird im Tauya der Hortativ durch ein Suffix markiert, welches mit den Morphemen, die die anderen Satztypen wie ‘deklarativ’, ‘imperativ’ usw. markieren, ein Paradigma bildet, derart daß ein Satz, der nicht zu einem der fünf anderen Satztypen gehört, notwendigerweise ein Hortativsatz ist. Die englische Übersetzung von E5 nimmt must zuhilfe. Dieses ist jedoch im Englischen (abgesehen von der Insuffizienz der Übersetzung) kein Formativ des hortativen Satztyps. Denn es bildet kein Paradigma mit den anderen Strukturmitteln, die im Englischen den deklarativen, interrogativen usw. Satz markieren. Das tut es deswegen nicht, weil es erstens mit anderen Satztypen frei kombinierbar ist, will sagen, in Sätzen verschiedener Satztypen vorkommen kann, und weil es auch überhaupt ceteris paribus fehlen kann. (Stattdessen gehört must zu einem ganz anderen Paradigma, dem der Modalverben.)

Phänomenologie der Satztypen

Ein Satztyp ist jedenfalls eine grammatische Kategorie. Als solche ist er, wie bereits eingangs gesagt, sowohl semantisch als auch strukturell bestimmt. Die semantischen Merkmale des Satztyps leiten sich aus dem Begriff der Basisillokution her; insofern ist der Satztyp diejenige grammatische Kategorie, die die illokutive Kraft – und zwar in Gestalt der Basisillokution – kodiert. Die strukturellen Merkmale des Satztyps besagen nicht mehr, als daß die Distinktionen, die zwischen verschiedenen Satztypen gemacht werden, in gewissem Maße – tatsächlich in vergleichsweise hohem Maße – grammatikalisiert sein müssen. Somit können wir definieren: Ein Satztyp ist eine Kategorie eines Satzes (i.S.v. engl. sentence), die durch seine Basisillokution bestimmt ist, soweit diese im Sprachsystem grammatikalisiert ist.

Die Bedingung in der Definition, daß der Satztyp grammatikalisiert sei, sorgt erstens dafür, daß er von semantischen Kategorien unterschieden werden kann, in die ein Satz evtl. fällt, insoweit seine illokutive Kraft lexikalisch kodiert ist. Tatsächlich kann man mit einem Satz eines gegebenen Satztyps unterschiedliche illokutive Akte ausführen. Z.B. kann B9 als Versprechen und folglich wie B10.a gemeint sein; es kann aber auch als Information über ein geplantes Ereignis, also so wie B10.b gemeint sein (vgl. Lyons 1977:728).

B9.Ich komme morgen um zwei.
B10.a.Ich verspreche, morgen um zwei zu kommen.
b.Es ist vorgesehen, daß ich morgen um zwei komme.

Die Bedingung, daß ein Satztyp eine grammatische Kategorie sei, sorgt zweitens dafür, daß es in einem Sprachsystem nur eine relativ kleine Anzahl von Satzypen gibt, m.a.W. daß sie nur relativ wenige illokutive Kräfte – eben in Form von Basisillokutionen – unterscheiden.

Indem wir an die obige onomasiologisch orientierte Einteilung anknüpfen, können wir die Systematik der Satztypen wie folgt vertiefen:

1. Ausrufesatz

Die Basisillokution von Ausrufesätzen unterscheidet sich von der der anderen Satztypen dadurch, daß mit ihr keine bestimmte sozial relevante Handlung, insbesondere kein Appell an den Hörer verbunden ist. Sie sind, kommunikativ betrachtet, sozusagen monologisch, wiewohl sie natürlich – wie überhaupt alles – gezielt im Hinblick auf denjenigen eingesetzt werden können, der sie mithört.

1.1. Exklamativsatz

Ein Beispiel war schon oben in B2 zu sehen. Im Prinzip können beliebige Sätze ausgerufen werden, wie etwa beide Sätze von B1, B3 u.v.a.m. Der Exklamativsatz als Satztyp setzt jedoch definitionsgemäß voraus, daß eine bestimmte Basisillokution mit bestimmten Strukturmitteln gepaart ist. Das ist bei B3 usw. nicht der Fall. B3 ist z.B. der Struktur nach ein Aufforderungssatz und kann folglich definitionsgemäß nicht außerdem noch einem anderen Satztyp angehören.

Im Deutschen sind Exklamativsätze semantisch dadurch gekennzeichnet, daß der Sprecher überrascht oder erstaunt ist über den Wert, den ein bestimmter Parameter in der Proposition annimmt (Näheres dazu unten bei den Interrogativsätzen). Das strukturelle Gegenstück davon ist ein selbständiger Satz, der die syntaktische Struktur eines indirekten Fragesatzes hat, wobei das einleitende Interrogativum sich eben auf den Parameter bezieht, und der am Ende eine stark fallende Intonationskurve hat.

1.2. Wunschsatz

In einem Wunschsatz ruft der Sprecher einen Wunsch aus. Gemäß der Definition des Ausrufesatzes ist dies keine Willensbekundung. Im Deutschen und umliegenden Sprachen stehen Wunschsätze im Konjunktiv. Ein Wunschsatz kann die Form eines Konditionalsatzes annehmen, wie in B11.

1.2.1. Optativsatz

In einem Optativsatz wünscht der Sprecher im Prinzip irgendetwas, in Opposition zu dem Imprekativsatz jedoch etwas Positives, wie in B11.

B11.Wenn doch jemand den Müll rausbrächte!

Traditionell wird unterschieden zwischen realen und irrealen Wünschen. Möge es dir wohlergehen! ist z.B. real, hätte ich doch auf meine Ex-Frau gehört! dagegen irreal.

1.2.2. Imprekativsatz

Ein Imprekativsatz ist ein Wunschsatz, mit dem der Sprecher etwas Negatives wünscht, mithin eine Verwünschung, ein Fluch. Im Türkischen gibt es dafür einen eigenen Satztyp (Hengeveld 2004:1191):

B12.Geber-esi!
Türkverreck-IMPREK
“Möge er verrecken!”

2. Aufforderungssatz

Der Begriff ‘Aufforderungssatz’ wird hier als Oberbegriff für jeglichen Satztyp verwendet, der kodiert, daß der Sprecher etwas bzgl. der Proposition will. Er unterscheidet sich vom Wunsch eben dadurch, daß der Wille sich an jemanden richtet und insoweit sozial relevant ist.

2.1. Impositivsatz

Im Impositivsatz richtet sich der Wille des Sprechers auf die Realisierung der Proposition. Rational kann man nur etwas wollen (i.Ggs.z. wünschen), was jemand kontrollieren kann. Folglich enthält die Proposition eine Aktion, und der Impositivsatz richtet sich darauf, daß das Agens diese Aktion ausführt. Weitere Unterteilung der Impositivsätze ergibt sich daraus, daß jede der drei grammatischen Personen dieses Agens sein kann.

2.1.1. Hortativsatz

Im Hortativsatz richtet sich die Aufforderung an die erste Person. Das ist allermeist die Gruppe, die den Sprecher enthält, wie in B13 und B14.

B13.Gaudeamus!
Lats.freu:KONJ.PRS:1.PL
“Wir wollen uns freuen!”
B14.Let's forget about it!

In B13 liegt der Konjunktiv Präsens vor, der vermutlich zusammen mit der Intonation satztypkonstitutiv ist. In B14 wird der Hortativsatz durch die Partikel /lɛts/ markiert [Aufgabe zum Wandel von engl. let's].

E5 oben illustriert den erheblich selteneren Fall eines Hortativsatzes zur Ermunterung des Sprechers allein.

2.1.2. Imperativsatz

‘Imperativsatz’ ist der Oberbegriff für alle an die zweite Person gerichteten Aufforderungssätze. Beispiele waren schon in B3 und B7.b zu sehen. Sie sind in allen bisher bekannten Sprachen, soweit sie überhaupt verbale Morphologie haben, grammatikalisiert durch die verbale Kategorie ‘Imperativ’. Dazu gehört häufig, wie im Deutschen, eine syntaktische Struktur, wo das Subjekt nicht vertreten ist.

Von Imperativsätzen gibt es Unterteilungen nach Höflichkeitsstufen, die mit Illokution nichts zu tun haben. Ebenso haben mehrere Sprachen eine grammatische Unterscheidung zwischen Befehlen, die sofort auszuführen sind, und Anweisungen, die grundsätzlich zu beachten sind. Damit dürfte das Futur in E3 oben zusammenhängen.

2.1.2.1. Admonitivsatz

Ein Admonitivsatz grammatikalisiert die illokutive Kraft des Rats bzw. der Warnung. Ein Beispiel ist B15 aus dem Mandarin, wo das strukturelle Kennzeichen eine satzfinale Partikel ist.

B15.Xiaoxinou!
ChinvorsichtigADMON
“Sei ja vorsichtig!”
2.1.2.2. Prohibitivsatz

Ein Prohibitivsatz ist ein Imperativsatz, wo der Hörer die Aktion nicht ausführen soll, also ein Verbotssatz. Ein Prohibitivsatz hat keine besondere logisch-semantische Struktur über die Tatsache hinaus, daß die illokutive Kraft sich auf eine negative Proposition bezieht. Nichtsdestoweniger machen sehr viele Sprachen einen grammatischen Unterschied zwischen einem positiven Imperativ und einem Prohibitiv. Im Italienischen z.B. hat der Prohibitiv in B16.b das Verb im Infinitiv, während der positive Imperativ in B16.a das Verb im Imperativ hat.

B16.a.Parla!
Ital“Sprich!”
b.Non parlare!
“Sprich nicht!”

2.1.3. Jussivsatz

Ein Jussivsatz kodiert eine Aufforderung an eine dritte Person. Situativ funktioniert das normalerweise so, daß dem Angesprochenen aufgedrückt wird, dafür zu sorgen, daß die dritte Person die Aktion ausführt (bzw. komplizierter, wie in B17, ihr ausgesetzt wird).

B17.Audiaturetalterapars!
Lathör:KONJ.PRS:PASS.3.SGauchander:NOM.SG.FTeil(F):NOM.SG
“Es ist auch die andere Seite zu hören!”

B17 ist ein typisches Beispiel. Der Konjunktiv im selbständigen Satz kodiert im Lateinischen einen Satztyp, der kein (unmarkierter) Aussagesatz oder Fragesatz ist. Ob weitere grammatische Unterschiede (außer der Person) hinzukommen, die den Jussivsatz grammatisch als solchen identifizieren, bleibt zu sehen.

2.2. Interrogativsatz

Ein Interrogativsatz kodiert eine Proposition, in der auf einem Parameter kein Wert gesetzt ist, wo also eine Wahl nicht entschieden wurde. Es gibt zwei Subtypen:

Im Deutschen beginnt der kanonische polare Interrogativsatz mit dem finiten Verb, und die Intonationskurve steigt von der vorletzten zur letzten Silbe, so wie im ersten Satz von B1 und in B5.b. Wo ein Morphem den Satztyp markiert, wie in E2 und B8, wird die Intonation nicht zusätzlich benötigt. Für pronominale Interrogativsätze wie B18 scheint es in allen Sprachen ein Paradigma von Interrogativpronomina zu geben. Diese drücken eben aus, daß in der von ihrer Kategorie umfaßten Menge kein Element selektiert wird.

B18.Wie findig ist unsere Polizei?

Interrogativsätze drücken aus, daß der Sprecher eine Informationslücke hat, daß er eine Wahl nicht entscheidet oder entscheiden kann. Deswegen lauten in sehr vielen Sprachen die Interrogativpronomina gleich den Indefinitpronomina (vgl. dt. wer kommt da? mit da kommt wer) und ist die Fragesatzkonjunktion gleich der Konditionalsatzkonjunktion (z.B. engl. if). In vielen Sprachen unterscheidet sich der pronominale Interrogativsatz von einem Aussagesatz mit einem Indefinitum nur durch die Fokusstellung des Pronomens. Diese hat eben die Funktion, die Aufmerksamkeit auf die Informationslücke des Sprechers zu lenken. Die kanonische (vom Sprecher bevorzugte) Antwort auf einen polaren Interrogativssatz ist ‘ja’ oder ‘nein’ und auf einen pronominalen Interrogativsatz eine lexikalische Einsetzung in der Position des Interrogativums (z.B. nicht besonders (findig) als Antwort auf B18).

Der Sprecher läßt also die Wahl ausdrücklich offen und gibt damit in geeigneten Kontexten zu verstehen, daß er die Informationslücke nicht selber schließen kann. Wenn er nun auch noch das Rederecht an den Hörer abtritt, so kann der Hörer inferieren, daß der Sprecher will, daß der Hörer die Informationslücke schließe. Deshalb wird Interrogativsätzen oft die Basisillokution einer Aufforderung zugeschrieben, und sie werden folglich wie oben als eine Art von Aufforderungssätzen klassifiziert. Es kann aber auch hinreichen, daß sie emphatisch über den Informationsstand des Sprechers informieren; und daß der Hörer versteht, daß von ihm eine Antwort erwartet wird, ist dann Sache einer konventionellen Inferenz.

3. Aussagesatz

Ein Aussagesatz ist ein Satz, dessen Basisillokution auf keine der bisher beschriebenen Weisen festgelegt ist. Er ist insofern semantisch bloß negativ definiert. Strukturell kann er positive Kennzeichen wie die Wortstellung in B4 oder das Suffix in E1 haben. Die am Ende fallende Intonation ist gelegentlich als positives Kennzeichen einer Aussage interpretiert worden; aber sie ist vermutlich bloß das Fehlen einer sich hebenden oder gehoben bleibenden Intonation, welche zu verstehen gibt, daß noch etwas zu folgen hat, also das phonetisch sich automatisch einstellende, unmarkierte Gegenstück zu dieser. Freilich kann man die fallende Intonation zum Zwecke einer Behauptung verdeutlichen, ebenso wie man einer Frage durch Übertreibung der steigenden Intonation Nachdruck verleihen kann.

Die Basisillokution, die mit einem Satztyp verbunden ist, ist weniger spezifisch als solche illokutiven Kräfte, die die Bedeutung von Sprechaktverben wie taufen oder warnen sind. Die Basisillokutionen, die in Satztypen kodiert sind, lassen sich auf zwei Weisen durch spezifischere illokutive Kräfte überlagern:

Zunächst zum ersten Fall. Ein gewöhnlicher performativer Satz wie B19 ist nach seinem Satztyp ein Aussagesatz.

B19.Ich bitte dich, etwas leiser zu sein.

Es sind also zwei Dinge auseinanderzuhalten:

Dies ist also ein Fall, wo eine grammatisch kodierte Bedeutungskomponente mit einer lexikalisch kodierten syntagmatisch kombiniert wird. In einer solche Konstellation “gewinnt” im Prinzip die lexikalische Information (Näheres anderswo). Dieses funktioniert allerdings typischerweise gerade mit den unmarkierten Werten grammatischer Kategorien reibungslos.

B23.Bitte ich dich, etwas leiser zu sein?

In B23 ist das performative Verb in einem Interrogativsatz verwendet. Hier schließt die Basisillokution die performative Verwendung des performativen Verbs aus.

Der unmarkierte Status des Aussagesatzes zeigt sich auch darin, daß er auch ohne performatives Verb mit spezifischeren illokutiven Kräften kompatibel ist. Mit einem Aussagesatz kann man nicht nur drohen, versprechen, voraussagen usw., sondern man kann insbesondere auch auffordern (B24), fragen (B25), ausrufen (B26) und wünschen (B27), also auch die illokutiven Kräfte übermitteln, für die es eigene Satztypen gibt. Das heißt, der Aussagesatz ist der Neutralisationspunkt der Satztypen.

B24.Es wäre mir lieb, wenn du den Müll rausbrächtest.
B25.Du kannst mir gewiß sagen, ob der Müll schon rausgebracht wurde.
B26.Erna hat den Müll rausgebracht!
B27.Ich wünschte, Erna brächte mal den Müll raus.

Dies ist das Feld der indirekten Sprechakte, deren illokutive Kraft höchstens mittelbar sprachlich kodiert ist und im übrigen vom Hörer durch Inferenz erschlossen wird. – Mehr zu den Markiertheitsverhältnissen zwischen den Satztypen anderswo.

Eine Interpretation des Aussagesatzes ist die Behauptung oder Feststellung. Z.B. B4 kann unter bestimmten Bedingungen als eine solche gemeint sein.2. Auch hier ist es wieder wichtig, den Satztyp – Aussagesatz – von der illokutiven Kraft – Behauptung – zu unterscheiden. Nur ein Bruchteil aller geäußerten Aussagesätze sind als Behauptungen gemeint.

Satztyp in Nebensätzen

Oben hatte es geheißen, daß die Basisillokution dem Satz zukommt, insofern er einer minimalen Äußerung entspricht. Daher gibt es pro Satz nur eine Basisillokution. Und zwar kommt diese nur einem selbständigen Satz zu; Nebensätze haben keine illokutive Kraft. Dennoch lassen sich auch Nebensätze den Satztypen zuordnen, die für Hauptsätze existieren.

B28.a.Erwin bringt den Müll raus.
b.Erna behauptete, Erwin bringe den Müll raus.
B29.a.Bringt Erwin den Müll raus?
b.Erna fragte, ob Erwin den Müll rausbringe.
B30.a.Erwin soll den Müll rausbringen.
b.Erna ordnete an, daß Erwin den Müll rausbrächte.

B28.b – B30.b enthalten jeweils die abhängigen Pendants zu B28.a – B30.a, also jeweils einen indirekten Aussage-, Frage- bzw. Aufforderungssatz (nicht zu verwechseln mit den indirekten Sprechakten!). Exklamativ- und Optativsätze haben, mindestens im Deutschen, keine abhängigen Gegenstücke.

Diese Klassifikation wird nur für Komplementsätze benötigt, die von einem Sprechaktverb im Hauptsatz regiert werden. In anderen Arten von Nebensätzen, also z.B. in Adverbialsätzen, gibt es keine Satztypunterschiede. Komplementsätze zu anderen Arten von Prädikaten, also z.B. zu stimmen, können, müssen aber nicht wie abhängige Aussagesätze konstruiert werden.

Das oberste Kriterium zur Bestimmung des Satztyps eines Nebensatzes ist die semantische Kategorie des Verbs, von dem er regiert wird:

Der semantische Unterschied zwischen einem selbständigen und einem abhängigen Satz eines gegebenen Satztyps besteht insofern darin, daß beim selbständigen Satz die Illokution vom Sprecher verliehen wird, während sie beim abhängigen Satz zur Bedeutung des regierenden Verbs gehört. Anders gesagt: Mit B29.a kann man eine Frage stellen, aber mit B29.b nicht; und analog für die anderen Beispiele.

Freilich gibt es – ganz ebenso wie bei den selbständigen Sätzen – nur dann Veranlassung, in der Grammatik solche Satztypen bei den Nebensätzen zu unterscheiden, wenn sie mit regelmäßigen Strukturunterschieden assoziert sind. Im Deutschen z.B. haben indirekte Fragesätze die Konjunktion ob bzw. dieselben Interrogativpronomina, die auch in direkten Fragesätzen auftreten. Tatsächlich sind die Struktureigenschaften von Komplementsätzen der verschiedenen Satztypen oft regelmäßig auf die Struktureigenschaften ihrer selbständigen Pendants bezogen. Hierfür gibt es zwei entgegengesetzte, aber nicht notwendigerweise inkompatible Erklärungen:

  1. Die indirekten Aussage-, Frage- und Aufforderungssätze gehen diachron auf direkte zurück und sind erst nachträglich syntaktisch untergeordnet worden.
  2. Die direkten Aussage-, Frage- und Aufforderungssätze sind zu denken als einem unausgesprochenen Sprechaktverb untergeordnet,1 das eben den vom Sprecher damit ausgeführten illokutiven Akt bedeutet und bei seinem semantisch abhängigen Satz dieselben Strukturkonsequenzen hat wie ein wirkliches Sprechaktverb.

Die diachrone Erklärung scheint in einigen historischen Fällen zuzutreffen, ist aber nicht verallgemeinerbar. Die synchrone Erklärung hat ein solches Problem nicht, ist aber etwas schwer falsifizierbar.


1 Etwas anders gefaßt: Zur semantischen Repräsentation eines Satzes wie B29.a würde ohnehin ein Prädikat der Bedeutung “fragen” gehören. Dieses löst – so die Hypothese – bei seiner abhängigen Proposition dieselben grammatischen Merkmale aus wie das Verb fragen.

2 Solche Äußerungen werden in Austin 1962 konstativ genannt und den performativen Äußerungen gegenübergestellt. Eine Behauptung ist aber auch eine sozial relevante Sprechhandlung, weswegen Searle 1969 die Zweiteilung in performative und konstative Äußerungen aufgibt.


Literaturhinweise

Altmann, Hans 1993, "Satzmodus." Jacobs, Joachim & Stechow, Arnim von & Sternefeld, Wolfgang & Vennemann, Theo (eds.), Syntax. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. 1. Halbband. Berlin: W. de Gruyter (Handbücher der Sprach- und Kommunikationswissenschaft, 9.1); I:1006-1029.

Hengeveld, Kees 2004, "Illocution, mood, and modality." Booij, Geert & Lehmann, Christian & Mugdan, Joachim & Skopeteas, Stavros (eds.), Morphologie. Ein internationales Handbuch zur Flexion und Wortbildung. 2. Halbband. Berlin: W. de Gruyter (Handbucher der Sprach- und Kommunikationswissenschaft, 17.2); 1190-1201.

Lyons, John 1977, Semantics. 2 vols. Cambridge etc.: Cambridge Univ. Press; ch. 16.

Sadock, Jerrold M. & Zwicky, Arnold M. 1985, "Speech act distinctions in syntax." Shopen, Timothy (ed.), Language typology and syntactic description. 3 vols. Cambridge etc.: Cambridge University Press; I:155-196.

Searle, John R. 1975, "A taxonomy of illocutionary acts." Gunderson, Keith (ed.), Language, mind, and knowledge. Minnesota: University of Minnesota Press (Minnesota Studies in the Philosophy of Science, 3); 344-369 (Searle 1979:1-29).

Searle, John R. 1979, Expression and meaning. Studies in the theory of speech acts. Cambridge: Cambridge University Press.