In dem, was ein Mensch denkt oder sagt, lassen sich zwei Aspekte unterscheiden:

Ich kann mir z.B. völlig neutral ein Pferd vorstellen; dann werde ich es mit dem Ausdruck Pferd bezeichnen. Ich kann mir aber auch ein Pferd vorstellen, welches in irgendeiner Hinsicht minderwertig ist oder welches ich als minderwertig darstellen möchte; dann werde ich es als Mähre bezeichnen. Die Bewertung ist selbstverständlich Teil dessen, was ich über den Gegenstand denke. Indem ich den wertenden Ausdruck verwende, erfährt der Hörer davon.

Bewertungen sind eine Art von Konnotationen, also Assoziationen, die wir mit Ausdrücken verbinden. Oft sind solche Assoziationen tabu, und entsprechend unterliegt dann die Wortwahl Tabus und ist den Verdikten politischer Korrektheit ausgesetzt. Wenn ich einen Angehörigen eines fahrenden Volkes einen Zigeuner nenne, bezeichne ich ihn nicht lediglich als Mitglied einer bestimmten Volksgruppe, sondern gebe gleichzeitig meine niedrige Bewertung des Referenten zu verstehen. Wenn ich die auf Polnisch Wrocław geheißene Stadt Breslau nenne, benutze ich nicht nur eine topographische Bezeichnung, sondern gebe gleichzeitig zu verstehen, daß ich revanchistische Gelüste nach jener Topographie habe. So jedenfalls stellen es sich die Leute vor, die mich dazu anhalten, Sinti und Roma und Wrocław zu sagen. Zur besonderen Sensibilität von Toponymen in der deutschen politischen Korrektheit gibt es eine eigene Seite.

Hier wird der Mechanismus von Tabu und politischer Korrektheit deutlich: Bei einer signifikanten Teilmenge einer Sprachgemeinschaft löst ein bestimmter Begriff bestimmte Assoziationen aus, die in der Sprachgemeinschaft verpönt sind. Wer den Ausdruck gebraucht, der standardmäßig diesem Begriff zugeordnet ist, setzt sich dem Verdacht aus, als hege er diese Assoziationen. Und da ein Sprecher i.a. will, daß der Hörer das denke, was er denkt, ergibt sich weiter die Unterstellung, der Sprecher wolle mit einem solchen Ausdruck den Hörer in der verpönten Assoziation zu seinem Kumpanen machen. Folglich wird jedes Mitglied der Sprachgemeinschaft gut daran tun, den Begriff nicht mit dem standardmäßigen Ausdruck zu bezeichnen. Dieser Ausdruck wird dadurch tabuisiert. An seine Stelle tritt ein anderer, vorsichtig-umschreibender, zartfühlend-andeutender oder einfach ein fremdsprachiger und deswegen von Konnotationen freier Ausdruck, ein Euphemismus.

Diesem Mechanismus kann sich der einzelne Sprecher schwer bis gar nicht entziehen. Es steht außer Frage, daß es wertende Ausdrücke wie Mähre gibt. Niemand kann ein Pferd Mähre nennen und auf Rückfrage behaupten, er habe das nicht negativ gemeint. Die Frage kann also nur sein, inwieweit die inkriminierte Konnotation tatsächlich schon Bestandteil des Sprachsystems geworden ist. Es gibt deutsche Texte, die den Ausdruck Zigeuner ohne wertenden Beiklang verwenden; z.B. Beschreibungen von Zigeunersprachen. Der einzelne Sprecher kann versuchen, sich darauf zu berufen, wenn er den Ausdruck Zigeuner verwendet. Er kann aber nichts dagegen ausrichten, daß es auch die tendentiöse Verwendung dieses Ausdrucks gibt und daß er sich deswegen dem Verdacht aussetzt, an dieser zu partizipieren. Er hat folglich die Wahl, entweder politisch korrekt zu sprechen oder sich ständig zu verteidigen.

Ideologische Regelung von Sprachgebrauch legt es darauf an, standardmäßige Bezeichnungen von Begriffen durch andere Bezeichnungen zu ersetzen, die bestimmte vom Ideologen gewünschte Konnotationen haben. Die innerdeutsche Mauer wurde in der DDR offiziell nicht als Mauer, sondern als antiimperialistischer Schutzwall bezeichnet. Der Ausdruck Mauer konnotiert etwas Hartes, Trennendes und Undurchdringliches. Der Ausdruck Schutzwall dagegen konnotiert etwas Wohlmeinendes, Positives; und Antiimperialismus war sowieso ein in der Gesellschaft etablierter Wert. Die Absicht des Ideologen ist es, unerwünschte Assoziationen zu unterdrücken und erwünschte Assoziationen zu befördern.

Tabus gibt es i.a. nur für lexikalische Ausdrücke. Oben wurde argumentiert, daß grammatische Kategorien keinen Schluß auf das Denken zulassen. In der Wirklichkeit gibt es freilich komplizierte Fälle. Um das generische Maskulinum hat es eine jahrzehntelange (nur selten offen geführte) Auseinandersetzung gegeben, die viele Sprachbenutzer in bezug auf Genusgebrauch dauerhaft sensibilisiert hat. Eine Kategorie, die hochgradig grammatikalisiert, folglich obligatorisiert und sinnentleert war, ist so wieder mit Bedeutung gefüllt worden. In Experimenten, die zu der Frage durchgeführt wurden, ob das generische Maskulinum wirklich geschlechtsneutral verstanden wird, ist immer wieder herausgekommen, daß dies nicht der Fall ist und daß die Probanden es vorrangig auf männliche Wesen beziehen. Auf diese Weise reagieren in den Experimenten selbstverständlich auch solche Sprecher, die jederzeit mit Bezug auf eine Frau sagen würden “Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.” Dies zeigt in erster Linie, daß man durch eine ideologisch geführte Debatte Menschen verunsichern und Konnotationen zu grammatischen Kategorien herstellen kann, die letztere bis dahin nicht besaßen. Da die Grammatik im Gegensatz zum Lexikon nicht sehr bedeutungsträchtig ist, ist ihre ideologische Überwachung aber tatsächlich eher der Ausnahmefall.