Grundsätzliches

Die einfachste Form des Aussagesatzes ist diejenige, wo einem Subjekt ein Prädikat zugeschrieben wird, also z.B.:

  1. Jesus starb in Kaschmir.
  2. Handyverächter sind Kommunikationsmuffel.

Ein Aussagesatz kann wahr oder falsch sein. Man stellt das fest, indem man überprüft, ob das Prädikat auf das Subjekt zutrifft.

Ein zentraler Schritt in jeder wissenschaftlichen Untersuchung ist die Hypothese (wörtl. “Unterstellung”). Eine Hypothese ist eine Annahme oder Vermutung, die der Wissenschaftler über Verhältnisse im Objektbereich unterhält. Sie nimmt – ebenso wie die Theoreme – die Form eines Aussagesatzes an und kann mithin wahr oder falsch sein.

Eine Hypothese kann eine partikuläre Hypothese sein, z.B. #a oben, oder eine allgemeine Hypothese, z.B. #b. Eine partikuläre Hypothese kann man verifizieren oder falsifizieren dadurch, daß man mit Blick auf den Gegenstandsbereich feststellt, ob das Prädikat auf das Subjekt zutrifft oder nicht. Eine generelle Hypothese kann man nicht verifizieren, weil die Gegenstände, die sie erfaßt, nicht abzählbar sind. Man kann sie nur falsifizieren, indem man ein Gegenbeispiel vorführt. Dieser Zusammenhang ist seit Poppers wissenschaftstheoretischen Arbeiten der 1960er Jahre (z.B. Popper 1994) unbestritten.

Das Halten einer Hypothese wird oft als Wert angesehen, ihre Falsifikation als ein Versagen. Manche Menschen verteidigen ihre Hypothesen mit Zähnen und Klauen. Popper macht zu Recht darauf aufmerksam, daß Erkenntnisfortschritt nur bei Falsifikation von Hypothesen stattfindet (die Unsicherheit wird eingeschränkt), während das Halten einer allgemeinen Hypothese keinen Fortschritt bedeuten kann, da sie ja nicht wahr sein muß. Seriöse Forschung ist daher gegenüber dem Ausgang der Überprüfung einer Hypothese völlig leidenschaftslos. Man kann auch ohne weiteres zwei einander ausschließende Hypothesen aufstellen und feststellen, welche von beiden der Überprüfung standhält.

Theorem

Eine Hypothese, die sich über längere Zeit als gegen Falsifikation resistent erweist, beginnt für wahr gehalten zu werden. Das ist verständlich und forschungspraktisch auch sinnvoll. Sobald die Hypothese als Faktum gilt, verlangt man, daß die Theorie sie inkorporiere. Wenn sich also die Hypothese über die Handyverächter nicht widerlegen läßt, dann sollte sie in die zuständige Theorie eingebaut werden. Die Hypothese erhält dadurch den Status eines Theorems, also eines Satzes der Theorie.

Einen Satz in eine Theorie zu inkorporieren bedeutet (wenn er nicht gerade zum Axiom wird) zu zeigen, daß er sich aus der Theorie deduzieren läßt.

Sätze, die aus einer Theorie folgen, sind Bestandteile der Theorie. Das besagt freilich konkret nicht notwendigerweise, daß man sie zur Menge der Sätze der Theorie dazuschreiben muß. Denn da sie daraus ableitbar sind, gehören sie in logischem Sinne dazu, ob sie nun eigens aufgeführt sind oder nicht.

Wenn sich nun unsere empirisch gewonnene Aussage über Handyverächter nicht aus unserer bereits bestehenden Theorie über Handys und ihre Nutzer ableiten läßt, wir aber finden, daß sie in einer solchen Theorie einen Platz haben muß, dann müssen wir auf mittlere Sicht unsere Handytheorie so modifizieren, daß dieses Faktum aus ihr folgt. (Ein etwas seriöseres Beispiel dafür, wie das vonstatten geht, findet sich anderswo.)

Als Theorem ist der Satz dann beweisbar (eben durch Deduktion) – was die Hypothese nicht war. Die Hypothese hört aber darum nicht auf, falsifizierbar zu sein. Wenn wir dann in Zukunft doch einmal einen Handyverächter treffen, der ein Kommunikationsgenie ist, wird nicht nur die Hypothese falsifiziert sein, sondern auch das Theorem wird falsch sein und folglich die Theorie, aus der es folgt, inkonsistent sein. Empirische Forschung führt so zur Revision von Theorien.

Falsifikation

Innerhalb einer Untersuchung hat die Hypothese die Funktion, eine vorläufige Anwort auf ein wissenschaftliches Problem oder eine Frage zu geben. In den nomothetischen empirischen Wissenschaften ist sie eine allgemeine Aussage, die ein (explanatorisches) Gesetz über einen empirischen Bereich enthält. Hier muß eine Hypothese folgenden Anforderungen genügen:

  1. Allgemeinheit: Partikuläre Aussagen (wie obiges Bsp. #a) sind Bestandteil historischer (idiographischer) Wissenschaft. Beobachtungsaussagen (vom Typ dieser Schwan ist schwarz) sind in empirischen Wissenschaften keine Hypothesen.
    Hierzu gehört auch, daß eine Hypothese nicht ad hoc, sondern unabhängig gestützt sein soll.
  2. Falsifizierbarkeit: Es muß klar sein, unter welchen Bedingungen die Hypothese als falsifiziert gelten soll. Dazu müssen die Begriffe, von denen sie Gebrauch macht, in eindeutiger Weise auf beobachtbare Phänomene beziehbar sein (s. zur Operationalisierung).
    Eine Variante davon ist, daß die Hypothese testbar ist. Das bedeutet, daß bestimmte konkrete Aussagen aus der Hypothese folgen, die das Verhalten der betroffenen Objekte unter bestimmten Bedingungen betreffen und die man kontrollieren, d.h. letztlich auf Beobachtungsaussagen zurückführen kann.

Viele Allaussagen haben die Form einer Implikation: ‘wenn auf ein Element des Gegenstandsbereichs A zutrifft, dann trifft auch B darauf zu’. Z.B.: ‘Alle Komponisten, die Opern komponiert haben, haben auch Lieder komponiert.’ Die logische Form einer solchen Hypothese gibt die Bedingung ihrer Falsifikation vor: Man muß einen Komponisten vorführen, der zwar eine Oper, jedoch kein einziges Lied komponiert hat. Wird er gefunden, ist die Hypothese falsifiziert. Dagegen ist es z.B. von keiner Relevanz für die Hypothese, wenn man einen Komponisten vorführt, der weder ein Lied noch eine Oper komponiert hat.

Daneben kann man an dem Beispiel sehen, was die Forderung besagt, daß die verwendeten Begriffe eindeutig auf Gegenstände beziehbar sein müssen. Angenommen, ich führe zur Falsifikation der Hypothese Leoncavallo an als einen Komponisten, der zwar Opern, aber kein Lied geschrieben hat. Der Proponent der Hypothese widerspricht mir und weist auf ‘Canta canta o mio cor!’ hin. Darauf sage ich, das sei kein Lied, sondern eine Arie. Die Hypothese setzt also voraus, daß der Unterschied zwischen Lied und Arie klar ist; sonst ist sie nicht falsifizierbar.

Falsifizierbarkeit ist also (im Gegensatz zu Falsifikation!), um es abschließend noch einmal zu unterstreichen, kein Manko, sondern im Gegenteil eine erstrebenswerte Eigenschaft wissenschaftlicher Aussagen. In manchen Disziplinen sind nicht-falsifizierbare Aussagen an der Tagesordnung. Dazu gehören vor allem hermeneutische Wissenschaften wie die Literaturwissenschaft oder, in der Linguistik, die Konversationsanalyse. Während diese noch zu den Wissenschaften gerechnet werden,1 liegt bei der Literaturkritik oder der Musikkritik der Fall klar: deren Aussagen sind grundsätzlich nicht falsifizierbar, und eben deswegen sind sie unwissenschaftlich.


1 Immerhin ist in dieser Hinsicht der oben erwähnte Unterschied zwischen den sciences und den arts bzw. humanities gerechtfertigt.