Grundbegriffe

Eine gegebene Situation wie die in B1.a kann gedacht werden als von einer höheren Instanz, dem Kausator verursacht, so wie in B1.b.

B1. a. Der Gärtner arbeitete.
b. Erna ließ den Gärtner arbeiten.

Das Verhältnis des Kausators bzw. übergeordneten Agens zur Restsituation (z.B. der von B1.a repräsentierten) ist Kausation; die sprachliche Konstruktion wird kausativ genannt. Was in der (verursachten) Basissituation der Partizipant mit der höchsten Kontrolle war – in B1.a der Gärtner – wird, da nunmehr ein anderer die Kontrolle hat, in eine zweitrangige Position demoviert. Syntaktisch betrachtet: Das Subjekt des Basissatzes wird bei Kausativierung in eine niedrigere syntaktische Funktion gebracht, da der Kausator die Subjektsposition besetzt.

Übungsaufgabe
1. Kausative Konstruktion und Basiskonstruktion

Direktheit der Einwirkung auf das untergeordnete Agens

Kausation wird in allen Sprachen ausgedrückt, aber mit sehr unterschiedlichen Mitteln. Viele Sprachen haben eine kausative Verbderivation, die aus dem Basisverb ein Kausativum = kausatives Verb macht. Die Tabelle (aus Kap. 2.2 wiederholt) zeigt in der mittleren Spalte einige einschlägige deutsche Beispiele.

Deutsche kausative Verben
BasisverbKausativ
synthetischperiphrastisch
ersaufenersäufenersaufen lassen
fallenfällenfallen lassen
liegenlegenliegen lassen
sinkensenkensinken lassen
saugensäugensaugen lassen
sitzensetzensitzen lassen
trinkentränkentrinken lassen
wachenweckenwachen lassen
verschwindenverschwendenverschwinden lassen
singensengenzum singen bringen

Viel mehr kausative Verben als die aufgeführten gibt es im Deutschen nicht. Sie sind alle längst lexikalisiert, mindestens die letzten beiden aufgeführten bei Verlust der Kompositionalität. Zahlreiche Sprachen wie Türkisch und Japanisch haben eine vollkommen produktive kausative Derivation (meist durch Suffix), die von jeglicher Basis ein Kausativum bildet. Im Deutschen muß man dazu eine periphrastische Konstruktion wie in B1.b (bzw. der letzten Spalte der Tabelle) verwenden.

Wir hatten bereits in Kap. 2.1 Beispiele von lexikalisch-syntaktischem und derivativem Ausdruck von Kausation gesehen. Wenn diese in einer Sprache als Alternativen koexistieren, sind sie i.a. nicht vollständig synonym.

B2. a. Erna setzte Klein-Erwin auf den Stuhl.
b. Erna ließ Klein-Erwin auf dem Stuhl sitzen.

B2.a impliziert direkte Einwirkung des Kausators auf das untergeordnete Agens sowie vollständigen Kontrollverlust des letzteren. B2.b dagegen impliziert eine lediglich indirekte Verursachung durch den Kausator - z.B. durch eine Aufforderung - und eine dem untergeordneten Agens verbleibende Restkontrolle.1 Entsprechendes gilt für die Ausdrücke in der zweiten und dritten Spalte der obigen Tabelle und erst recht für Fälle wie töten - sterben lassen / zu Tode bringen, wo Kausation im ersten Element bloß lexikalischen Ausdruck hat.

In der synthetischen Strategie des Deutschen ist eine innere Modifikation (eine historische Kombination aus Ablaut und Umlaut) der Ausdruck des kausativen Bedeutungselements, in der periphrastischen Strategie ist es das Funktionsverb lassen. Wir konstatieren also folgendes Verhältnis zwischen den beiden kausativen Strategien:

  Konstruktion
Semiotik      ╲
synthetisch periphrastisch
Ausdruck der kausativen Bedeutungskomponente mit Verbstamm fusioniert selbständig neben untergeordnetem Verb
Kausation direkte Einwirkung auf untergeordnete Situation indirekte Einwirkung auf untergeordnete Situation

Die Weise der syntagmatischen Kombination der kausativen Ausdrucksmittel mit dem Operanden spiegelt also ikonisch die Unmittelbarkeit der Kausation.2 Folgende Generalisierung bewahrheitet sich im Sprachvergleich: Wenn eine Sprache über zwei Strukturmittel zum Ausdruck der Kausation verfügt, die sich in der Fügungsenge unterscheiden, so wird dasjenige mit der größeren Fügungsenge unmittelbare Kausation, das mit der weiteren Fügungsenge mittelbare Kausation ausdrücken. Hier liegt also Distanzikonismus vor.

Demotion des untergeordneten Agens

Das Subjekt der kausativen Konstruktion ist der Kausator. Das untergeordnete Agens, welches Subjekt der Basiskonstruktion ist, kann folglich in der kausativen Konstruktion nicht Subjekt bleiben, sondern muß demoviert werden. Hierfür gibt es in den Sprachen der Welt eine Reihe von Strategien. Darunter sind zwei sehr einfache, die man beide aus dem Deutschen illustrieren kann. Die erste demoviert das untergeordnete Agens grundsätzlich zu einem Adjunkt, nämlich demselben, als welches das Agens auch im Passiv erscheint. B3 - B5 zeigen nacheinander die Kausativkonstruktion von einem intransitiven, einem transitiven und einem bitransitiven Verb.

B3.    Erna läßt sich von Erwin helfen.

B4.    Der Lehrer läßt das Buch von den Schülern lesen.

B5.    Der Lehrer läßt von dem Schüler das Buch zum Rektor bringen.

Diese Strategie behandelt also das untergeordnete Agens der Kausativkonstruktion analog zum Agens der Passivkonstruktion.

Die zweite Strategie ist an den Übersetzungen von B6.b - B8.b unten zu sehen. Sie demoviert das untergeordnete Agens grundsätzlich auf die Position des direkten Objekts. Hatte das Basisverb bereits ein direktes Objekt, so hat die kausative Konstruktion scheinbar deren zwei. Freilich ist, wie der Passivtest erweist, nur das das untergeordnete Agens kodierende ein echtes direktes Objekt. Diese Strategie wählt für den häufigsten Fall, nämlich die Kausativierung monovalenter Verben, die einfachste Konstruktion, nämlich die mit transitivem Verb, welche, wie oben gesehen, gleichzeitig die unmittelbare Einwirkung auf das untergeordnete Agens kodiert. Die Kausativkonstruktion von plurivalenten Verben wird dann in Analogie zu diesem einfachen Fall gebildet.

Die Wahl zwischen den alternativen Strategien dürfte in erster Linie eine stilistische sein.

Ein den jeweiligen Valenzverhältnissen angepasstes und dennoch regelmäßiges Verfahren weist das Französische auf. In der folgenden Beispielserie (vgl. Christol 1998:507) stehen die a-Sätze für die Basissituation, die b-Sätze für deren kausative Ableitung. Von B6 bis B8 treten wieder ein direktes und ein indirektes Objekt zur Valenz des Basisverbs hinzu.

B6.    a.    l'élève lit "der Schüler liest"

        b.    le maître fait lire l'élève "der Lehrer läßt den Schüler lesen"

B7.    a.   l'élève lit le livre "der Schüler liest das Buch"

        b.   le maître fait lire le livre à l'élève "der Lehrer läßt den Schüler das Buch lesen"

B8.    a.   l'élève porte le livre au directeur "der Schüler bringt dem Rektor das Buch"

        b.   le maître fait porter le livre au directeur par l'élève "der Lehrer läßt den Schüler dem Rektor das Buch bringen"

Das Subjekt des Basisverbs wird die Stufen der Hierarchie der syntaktischen Funktionen hinunter demoviert, und zwar auf den ersten Platz, den die Valenz des Basisverbs ihm frei läßt. In B8 ist bereits das Basisverb trivalent. Hier ist nun das untergeordnete Agens nicht mehr in der Valenz unterzubringen; die nächstniedrige Stufe in der Hierarchie ist das Adjunkt. Und hier wird das untergeordnete Agens der Kausativkonstruktion strukturell wie das Agens der Passivkonstruktion behandelt.

Übungsaufgaben
1. Kausative Konstruktionen
2. Verbklassen

1 Die Periphrasen mit lassen haben neben der kausativen auch eine permissive Lesung, die hier nicht zur Debatte steht, jedoch sehr gut zu der Kontrolle des untergeordneten Agens paßt.
2 Die größere Distanz des Kausators kommt auch zum Ausdruck in dem Aufkleber "Wo lassen Sie denken?"