Begriff der Linksversetzung

Ein Satz mit Linksversetzung (engl. left dislocation, in der Germanistik “Herausstellung”) ist ein expandierter Satz mit folgender Struktur:

[[Xi]XS[... Yi ...]S]ES
Topicausdruck... resumptives Pronomen ...

B2 ist ein Beispiel.

B1.I dislike modern jazz.
B2.Modern jazz, I dislike it.

Der expandierte Satz ES besteht also aus einer Konstituente einer Kategorie XS, die vor der linken Grenze des Restsatzes S steht. Die Kategorie XS (“X-Syntagma”) ist nicht definiert. Häufig ist es ein NS; es kann aber auch ein Adverbial und auch ein Nebensatz sein. Der Topic-Ausdruck Xi hat keine syntaktische Funktion in ES, und auch keine in S, da er ja außerhalb seiner steht. Das anaphorische Pronomen Yi nimmt den Topic-Ausdruck wieder auf (daher der identische Referenzindex i); es wird deshalb auch Resumptivum genannt.

Die Prosodie dieser Konstruktion ist wie folgt: Die Tonhöhe steigt von Anfang an kontinuierlich bis zum Ende von X. Dann folgt eine optionale Pause und ein etwas tieferer Neuansatz für S. Auf X liegt ein Nebenakzent; der Hauptakzent liegt auf dem Comment bzw. Fokus-Ausdruck in S (natürlich nicht auf Y).

In einer transformationellen Konzeption leitet man einen Satz mit Linksversetzung wie B2 wie folgt aus einem einfachen Satz wie B1 her: Man extrahiert die topikale Konstituente – im Beispiel modern jazz – aus dem einfachen Satz und stellt sie an den Anfang des expandierten Satzes. Im Restsatz S verbleibt an der Stelle, wo X war, das Resumptivum. Dadurch bleibt S ein vollständiger Satz, in welchem Y ein resumptiver Topic-Ausdruck (bzw. Thema-Ausdruck) ist.

Die Funktion der Linksversetzung ist die Topikalisierung: X ist der linksversetzte Topic-Ausdruck von ES. Genauer gesagt: B1 ist ein einfacher Satz, der zwei kommunikative Funktionen zu erfüllen versucht, nämlich erstens den ‘unbenutzten Topic’ X wieder ins Bewußtsein zu rufen und zweitens über diesen Information zu liefern. Dieser Versuch läuft aber dem Prinzip der Trennung von Referenz und Rolle zuwider. Die Linksversetzung in B2 tut diesem Prinzip Genüge, indem sie zunächst – vor der Satzgrenze – den unbenutzten Topic reaktiviert und im folgenden Restsatz über ihn sagt, was zu sagen ist. Der Topic kommt zwar auch in diesem Restsatz vor, dort jedoch in Form des Resumptivums it (Yi). Dieses hinwiederum verweist bloß auf den soeben reaktivierten Topic, stellt also keinen Versuch dar, “einen Referenten einzuführen”. M.a.W.: Xi repräsentiert den unbenutzten, Yi jedoch den (nunmehr) aktiven Topic. Ein Anaphorikum, das einen aktiven Topic repräsentiert, ist in zahlreichen Sprachen (nicht jedoch im Deutschen oder Englischen) Null.

Die Linksversetzung ist ein syntaktisches Verfahren der Topikalisierung, das in vielen Sprachen zu verschiedenen Graden grammatikalisiert ist. Einige Sprachen wie klassisches Latein verfügen höchstens in Ansätzen darüber.1 Auch im Englischen ist B2 eher eine umgangssprachliche Konstruktion. Im Schriftenglischen (B3) muß man ebenso wie im Hochdeutschen (B4) seine Zuflucht zu einer periphrastic aboutness construction nehmen:

B3.As for modern jazz, I dislike it.
B4.Was modernen Jazz betrifft/angeht, ich verabscheue ihn / den verabscheue ich.

Solche Konstruktionen sind nicht grammatikalisiert. In anderen Sprachen hingegen ist die Linksversetzung hochgradig grammatikalisiert (vgl. die Beispiele im Abschnitt über Topikalisierung). Im yukatekischen Maya folgt dem linksversetzten Topic-Ausdruck obligatorisch das Enklitikum -e', wie in B5.

B5.Uk'àaba'-e'ts'o'kawu'y-ik-e'x.
Yuk[ POSS.3Name-TOP ]TERMSBJ.2hör-INKMPL-2.PL
“Seinen Namen habt ihr schon gehört.” (FCP_004f)

Die gleiche Funktion hat im Japanischen die Partikel wa, wie in B6.

B6.Ruuzuberutonomaewadaregadaitooryoodesitaka?
Jap[ RooseveltGENvorTOP ]werNOMPräsidentwarINT
“Wer war vor Roosevelt Präsident?” (Dunn & Yanada 1958:109)

Während in der yukatekischen Konstruktion das Resumptivum aus kontingenten Gründen Null ist (will sagen, die Konstruktion sieht im Prinzip eines vor), hat Japanisch überhaupt keine klitischen oder gar affixalen pronominalen Elemente. Hier ist das Fehlen des Resumptivums ein Symptom eines höheren Grades der Grammatikalisierung der Konstruktion, sowie natürlich auch des maximalen Topikalitätsgrades dieses unkodierten Referenten.

Ein linksversetzter Topic-Ausdruck ist funktional janusköpfig: In bezug auf den vorangehenden Kontext hat er die Funktion, einen unbenutzten Referenten zu reaktivieren. In bezug auf den folgenden Restsatz hat er die Funktion, einen Rahmen abzustecken, innerhalb dessen der Comment gelten soll. Dies ist besonders deutlich an B6 zu sehen.

Linksversetzung und Spaltsatz

Linksversetzter Topic-Ausdruck und Fokus-Ausdruck können in einem einzigen expandierten Satz kookkurrieren; das ist sogar ziemlich häufig. Ein Beispiel war bereits in B6 zu sehen: die Partikel wa markiert das Vorangehende als Topic; die Partikel ga markiert das ihr Vorangehende als Fokus.2 B7 bietet ein ähnliches Beispiel aus dem Yukatekischen.

B7.Tèen-e'mixba'linwohelleòorah-o'.
Yukich-TOPnichts[ SBJ.1.SGwissDEFStunde-D2 ]S
“Ich wußte damals nichts.” (wörtl.: 'Was mich angeht, nichts wußte ich damals.')

B6 und B7 haben gemeinsam, daß linksversetzter Topic-Ausdruck und Fokus-Ausdruck in dieser Reihenfolge an der linken Satzgrenze stehen. Genau gesagt steht der Topic-Ausdruck davor, während der Fokus-Ausdruck in bezug auf die Position links oder rechts der Satzgrenze ambivalent ist. Die Reihenfolge ist jedenfalls universal:

[ linksversetzter_Topic-Ausdruck [ Fokus-Ausdruck extrafokaler_Satz] ].

Diese Reihenfolge ist ikonisch, denn sie spiegelt die Reihenfolge der Anwendung der beiden Operationen der Informationsstruktur: Linksversetzung dient der Reaktivierung eines unbenutzten Topic und somit der Kontextualisierung des Comment, während Fokussierung und insbesondere Satzspaltung der inneren Gliederung des Comment dient.


1 Die Konstruktion heißt dort nominativus pendens “hängender Nominativ” und gehört eher der Umgangssprache an.

2 Wenn das Subjekt im Fokus steht, wird es durch ga markiert, wenn es topikalisch ist, durch wa.