Die Überschrift des Hauptkapitels, ‘Sprache und Denken’, gibt die traditionelle binomische Formulierung eines populärwissenschaftlichen Zusammenhangs wieder. Beide Titelbegriffe sind jedoch ungenau. Die Mehrdeutigkeit des Sprachbegriffs war schon zu Anfang Gegenstand dieses Traktats und wird im nächsten Abschnitt im gegenwärtigen Zusammenhang wieder aufgenommen. Auch mit ‘Denken’ ist hier ein ganzer Bereich menschlicher Fähigkeiten und Tätigkeiten angedeutet, von dem bei näherer Betrachtung das Denken eigentlich nur ein Teil ist. Der umfassendere Bereich wird etwa seit Mitte des 20. Jh. mit dem Schlagwort ‘Kognition’ (lateinisch für “Erkennen”) umrissen.

Wahrnehmung

Denken ist zunächst gegen Wahrnehmung (≈ Perzeption) abzugrenzen. Daß X Y wahrnimmt, setzt voraus, daß X ein Individuum ist und Y ein physikalisches Phänomen, das sich typischerweise außerhalb von X befindet. X interagiert mit Y in der Weise, daß es Information über Y aufnimmt. Dazu verfügt X über Organe, sog. Sinne(sorgane), die von Y angeregt werden und so Prozesse und Zustände in X, und zwar zunächst bloß in seinem Nervensystem auslösen.

Die Sinnesorgane konstituieren die physiologische Seite der Wahrnehmung. Wenn man Wahrnehmung als einen Vorgang auffaßt, durch den Information über Y von außen in das Innere von X dringt, dann ist die Reizung der Sinnesorgane durch Y die erste Stufe der Wahrnehmung. Bereits auf dieser Stufe ist die Wahrnehmung subjektiv (d.h. durch den Wahrnehmenden) geformt und beschränkt, eben durch die Leistung der Sinnesorgane. Sie geben kein 1:1-Abbild von Y, sondern eine Repräsentation davon, die Xs Möglichkeiten und Interessen entspricht. Diese wiederum sind in erster Linie durch die Evolution der Spezies von X vorgezeichnet. Der Gesichtssinn des Menschen z.B. ist in der Lage, das Farbspektrum von Rot bis Violett zu sehen. Den Infrarotbereich nehmen wir nicht wahr, und ebensowenig den Ultraviolettbereich (Näheres später). Wir hören nichts unterhalb von 16 Hz und oberhalb von 20.000 Hz. Andere Lebewesen sind in dieser Beziehung anders ausgestattet. Fledermäuse hören im Ultraschallbereich. Schnecken haben Sensoren nur für Stufen der Helligkeit, nicht aber für Farben, und sehen daher nur Graustufen. Hunde riechen, wer wo vorbeigekommen ist; Menschen haben derartige Fähigkeiten im Laufe der Evolution eingebüßt.1 Die gesamte weitere Verarbeitung des Wahrgenommenen, und folglich jegliche Erkenntnis, die auf Wahrnehmung beruht, ist vordefiniert durch die Möglichkeiten der Sinnesorgane.

Die Entwicklung von Apparaten, mit denen wir auch physikalische Reize jenseits unserer eigenen Wahrnehmungsmöglichkeiten aufnehmen können, ändert daran nur bedingt etwas. Wir erweitern dadurch unsere Erkenntnismöglichkeiten, nicht aber unsere Wahrnehmungsmöglichkeiten. Denn was die Apparate aufnehmen, müssen sie transformieren in ein Medium, das wir wahrnehmen können, sonst würden wir von dem, was sie aufnehmen, nie etwas erfahren. Ich lasse diese erweiterten Erkenntnismöglichkeiten im folgenden unberücksichtigt.

Wahrnehmung beschränkt sich freilich nicht auf einen rein physiologischen Prozeß. Seit dem 19. Jh. unterscheidet man zwischen Perzeption und Apperzeption als – grob gesprochen – Gegenständen der Physiologie bzw. der Psychologie. Erstere ist eben der rein physiologische, auf die Sinnesorgane beschränkte Teil des Gesamtprozesses. Letztere ist die (unmittelbare) mentale Repräsentation des Wahrgenommenen. Unmittelbar deshalb, weil an jeder Wahrnehmung ein Interpretationsprozeß ansetzen kann, der über viele Repräsentationsstufen laufen kann und dessen Resultat mit der Perzeption nur noch sehr mittelbar zu tun hat. Dies ist die allgemeine Grundlage des sprachlichen Verstehens, das wir in früheren Kapiteln als einen vielstufigen und potentiell unabgeschlossenen Prozeß kennengelernt hatten. Die fortgeschrittenen Stufen der Informationsverarbeitung nennt man auch nicht mehr Apperzeption, insofern sie weniger von der Wahrnehmung als von der mentalen Tätigkeit des Individuums abhängen.

Daß die Unterscheidung von Perzeption und Apperzeption sinnvoll ist, zeigen solche Beispiele wie die in einem anderen Kapitel angeführten optischen Täuschungen und Springbilder. Die optische Täuschung bzw. die Gestaltwahrnehmung ist offensichtlich nicht ausschließlich von physikalischen Eigenschaften des wahrgenommenen Gegenstandes determiniert. Perzeption kann also operational von Apperzeption abgegrenzt werden als die Stufe des Gesamtprozesses, auf welcher die betreffenden Bilder noch neutral repräsentiert sind. Die optische Täuschung und die Gestaltwahrnehmung dagegen passieren auf der Stufe der Apperzeption. Dort werden Eindrücke bereits nach spezifisch menschlichen Maßstäben kategorisiert und bewertet. Die Beispiele zeigen gleichzeitig, daß unsere Möglichkeiten, unter die Stufe der Apperzeption hinunterzugelangen, diese also zu kontrollieren und die reine unverfälschte Perzeption zu schauen, höchst beschränkt sind.

Die gesamte Aufnahme und weitere Verarbeitung von Information ist natürlich kein rein rezeptiver Prozeß, der uns widerfährt und in uns irgendwelche Repräsentationen ablädt; sondern er ist von uns gesteuert. Auch diese Steuerung ist zum Teil dieselbe für die ganze Spezies humana. Wenn z.B. ein Geräusch ans Ohr dringt, findet sofort eine apperzeptive Kategorisierung nach der Geräuschquelle statt. Zuoberst in dieser Klassifikation ist die Unterscheidung zwischen Lebewesen vs. Dingen als Geräuschquelle. Wenn ein Mensch unvermittelt neben sich das Knurren eines Tigers vernimmt, wird er erschrecken und vermutlich mit Flucht reagieren. Der Schreck resultiert offensichtlich aus einer Kategorisierung der Geräuschquelle. Die Geräuschquelle selbst wurde aber ex hypothesi gar nicht unmittelbar wahrgenommen. Sie wird aus den auditiven Eigenschaften des Geräuschs erschlossen und anhand eines im Hirn vorhandenen Schemas kategorisiert. Apperzeption ist also nicht zu trennen von Motivation und Bewertung. Diese ist, wie gesagt, z.T. für die ganze Spezies dieselbe, sie ergibt sich nämlich aus den Lebensbedingungen in ihrer Umwelt. Die für eine Spezies relevanten Kategorien gehören z.T. zu deren genetischer Ausstattung, wie vielfache Versuche mit Tierjungen ergeben haben. Zum Teil allerdings finden in der Apperzeption Kategorisierungen statt, die nicht der ganzen Spezies gemeinsam sind, sondern z.B. für ein Volk bzw. eine Sprachgemeinschaft charakteristisch sind. Als Beispiel denke man an die einzelsprachlichen Kategorisierungen auf kontinuierlichen Parametern in Phonetik und Phonologie, etwa die Unterscheidung von /d/ vs. /t/ im Französischen, aber von /t/ vs. /tʰ/ im Chinesischen, von der in einem anderen Kapitel die Rede ist.

Aus all dem folgt, daß Perzeption ebensosehr ein vom Individuum gesteuerter wie ein rezeptiver Prozeß ist. Insoweit ist dann Wahrnehmung auch nicht einfach ein Vorgang, der von außen nach innen abläuft. Der von außen kommenden Information wird sozusagen von innen entgegengekommen; die Sinnesorgane sind eher eine Schnittstelle zwischen Innen und Außen als eine Einfüllöffnung.

Erkenntnis

Erkenntnis setzt wie Wahrnehmung ein Individuum X und einen Gegenstand Y voraus. ‘Gegenstand’ allerdings im weitesten Sinne; es ist nicht einmal vorausgesetzt, daß Y vor und unabhängig von der Erkenntnis existiert (man denke an durch Kontemplation oder durch Mathematik gewonnene Erkenntnisse). X generiert von Y eine mentale Repräsentation, und diese nennt man Erkenntnis, insoweit sie dem Wesen von Y entspricht, d.h. insoweit X Y angemessen repräsentiert. In vorkonstruktivistischer Erkenntnistheorie hätte man einfach gesagt: “insoweit die Repräsentation von Y wahr ist”. Aber bereits das, was ich soeben über Beschränkungen der Wahrnehmung gesagt habe, reicht aus, um zu sehen, daß von Wahrheit hier nicht die Rede sein kann. Menschliche Erkenntnis richtet sich darauf, solche Repräsentationen der Erkenntnisobjekte zu erzeugen, die für die Menschheit und für das Individuum möglich und relevant sind; dies ist besonders durch die biologische Erkenntnistheorie (Lorenz 1973, Maturana 1982, Maturana & Varela 1987) deutlich geworden.

Wir hatten bereits in dem wissenschaftstheoretischen Kapitel von den Arten der Erkenntnis zu handeln und dort zwischen logischer, empirischer und hermeneutischer Erkenntnis unterschieden. Dementsprechend gibt es drei wesentliche Eckpunkte der Erkenntnis:

  1. das Denken, dessen Wurzeln und Antrieb im Individuum liegen,
  2. die Umwelt, der das Individuum ausgesetzt ist, die es stört bzw. vom Individuum gestaltet wird,
  3. der Mitmensch, der dem Individuum als gleichwertiges Erkenntnissubjekt gegenübertritt und mit dem es zu gemeinschaftlicher und zu “vergesellschafteter” Erkenntnis gelangen kann.
Jede Erkenntnis ist in unterschiedlichem Maße durch diese drei Komponenten determiniert. Für das folgende bleibt festzuhalten, daß Erkenntnis nicht (im Sinne des Empirismus) restlos von außen determiniert ist, daß also die von ihr generierten Repräsentationen nicht einfach getreue Abbilder der physikalischen “Realität” sind; sie ist aber auch nicht (im Sinne des Rationalismus) restlos von innen, d.h. von den durch Evolution erworbenen Erkenntnisfähigkeiten der Spezies determiniert, so daß die von ihr generierten Repräsentationen nichts als Projektionen aus dem Inneren des erkennenden Subjektes wären. Vielmehr könnnen die drei Erkenntnismöglichkeiten einander korrigieren.

Soweit die Erkenntnis empirisch gewonnen wird, schließt sie an den Wahrnehmungsvorgang an. Wir können sagen, daß die Perzeption die Vorstufe und die Apperzeption die erste Stufe der empirischen Erkenntnis ist. Zur Erkenntnis gehören dann noch die weiteren Stufen der Verarbeitung des Wahrgenommenen durch Denken.

Die meisten Theorien der Erkenntnis fassen sie als eine Relation mit zwei Relata, dem Subjekt und dem Objekt, auf. Menschliche Erkenntnis aber bezieht wesentlich auch den Mitmenschen ein. Das Individuum vergewissert sich seiner Erkenntnis durch Kontakt mit dem Mitmenschen. Der Einzelne kann einer Halluzination erliegen; aber wenn wir alle reliabel dasselbe wahrnehmen, dann muß es stimmen, anders gesagt, dann muß es den Erkenntnismöglichkeiten unserer Spezies oder unserer Gemeinschaft entsprechen. Solchermaßen abgesicherte Erkenntnisse bauen wir zu einer Ontologie aus.2 D.h. wir bringen das Erkannte auf Begriffe und machen uns ein zusammenhängendes Bild davon, wie die Welt ist und was es in ihr gibt. Alle uns erreichbaren Ontologien sind menschliche Ontologien, d.h. sie enthalten nur das, was wir – logisch, empirisch oder hermeneutisch – erkennen können. Einige davon nennt man wissenschaftliche Theorien, andere Glaubenssysteme (engl. belief systems) einschließlich Religion und Aberglauben. Sie alle zusammen bilden das, was man auf Deutsch Weltanschauung nennt.

Gedächtnis

Gedächtnisfunktionen

Das Gedächtnis ist kein homogenes, geschlossenes Ganzes, sondern ein Bündel verschiedener Funktionen, die normalerweise zusammenwirken, aber auch getrennt beeinträchtigt oder ausgeschaltet sein können.

Es gibt drei voneinander unabhängige Einteilungen der Gedächtnisfunktionen:

  1. nach der Stärke
  2. nach den Inhalten
  3. nach der Behaltensdauer.

Wiedererkennungs- und Reproduktionsgedächtnis

Nach der Leistungsstärke des Gedächtnisses lassen sich die zwei in der Tabelle dargestellten Funktionen unterscheiden:

WiedererkennungsgedächtnisReproduktionsgedächtnis
Dispositionpassivaktiv
Fassungsvermögengrößer, umfaßt Reproduktionsgedächtnis
durchschnittliche Größe des mentalen deutschen Lexikons94.000 Wörter25.000 Wörter

Das Reproduktionsgedächtnis hängt von der größeren Verarbeitungstiefe ab, mit der seine Inhalte aufgenommen und gespeichert werden. Es ist auf eine stärkere Gedächtnisspur angewiesen, die nur bei tiefer Verarbeitung eingeprägt wird.

Prozedurales und deklaratives Gedächtnis

Nach der Art der abgespeicherten Gedächtnisinhalte läßt sich die in folgender Tabelle dargestellte Unterscheidung machen:

prozedurales Gedächtnisdeklaratives Gedächtnis
InhaltBewegungsabläufe, FertigkeitenWissen
der Introspektion zugänglichneinja
kann versprachlicht werdenneinja
Inhalte erlernbar durchÜbenErläuterung
stammesgeschichtliches Alterälterjünger
Ort im HirnHirnstamm (Basalganglien), KleinhirnHirnrinde, Zwischenhirn

Die beiden Arten von Gedächtnis sind voneinander unabhängig und arbeiten biochemisch verschieden. Dem prozeduralen Gedächtnis können z.T. auch Gedächtnisinhalte zugeordnet werden, die über die einzelnen Sinne hereingekommen sind, wie das visuelle und das auditive Gedächtnis.

Das deklarative Gedächtnis läßt sich noch einmal nach der Art seiner Inhalte untergliedern in:

semantisches Gedächtnisepisodisches Gedächtnis
Wissen von Bedeutungen der Dinge ("Schulwissen") autobiographische Erlebnisse
allgemein-abstraktanschaulich-konkret
Einzelereignisse fallen zusammenEinzelereignisse bleiben distinkt

Die Inhalte des semantischen Gedächtnisses basieren z.T. auf Abstraktion aus Inhalten des episodischen Gedächtnisses, also auf Verallgemeinerungen aus gemachten Erfahrungen.

Ein Teil des episodischen Gedächtnisses wiederum heißt (seit 2000) ‘Priming’. Es enthält aufgenommene Reize, die vorbewußt bleiben, nicht aktiv abgerufen werden, jedoch durch verwandte Reize unwillkürlich aktiviert werden können.

Sensorisches Register – Kurzzeitgedächtnis – Langzeitgedächtnis

Nach der Dauer der Speicherung lassen sich die Gedächtnisfunktionen wie folgt einteilen:

sensorisches RegisterKurzzeitgedächtnisLangzeitgedächtnis
Fassungsvermögen1 Element7 Elementeunbegrenzt
DauerIkon: 0,5 – 1 Sekundemax. 20 Sekundenunbegrenzt
Echo: 2 – 3 Sekunden
Bewußtheitbewußtbewußtunbewußt
physiologisches Substratelektrische Erregungelektrische Erregungmaterielle Veränderung im Zentralnervensystem
Erhaltungbleibt jungbleibt jungwird im Alter schlechter

Das Fassungsvermögen ist biologisch determiniert und läßt sich durch Üben nicht vergrößern.

Ikon: visuelle Erinnerung; Echo: auditive Erinnerung.

Die Struktur der Daten im Langzeitgedächtnis wird von dem Grad ihrer Konsolidierung, d.h. von ihrem Alter bestimmt. Bei Amnesien werden Erinnerungen bis zu einem gewissen Grad der Konsolidierung aufwärts betroffen.

Das Gehirn verliert täglich etwa 100.000 Nervenzellen (Neuronen). Nach 70 Jahren sind etwa 20% von ihnen tot. Vielleicht liegt es daran, daß das Langzeitgedächtnis – mindestens für neu zu Lernendes – im Alter schlechter wird. Allerdings wird (seit 2000) auch eine Neurogenese immer wahrscheinlicher.

Speichern und Lernen

Alles, was ins Langzeitgedächtnis gespeichert wird, läuft über den Hippokampus, die danebenliegende Amygdala und den darüberführenden Stiel des mittleren Schläfenlappens.

Bedeutsames, Einschneidendes bleibt lange im Gedächtnis; Alltägliches wird sofort vergessen. Die Abspeicherung wird durch das limbische System gesteuert; ausschlaggebend für das Merken ist also der Gefühlseindruck, die Betroffenheit. Insbesondere die Inhalte des episodischen Gedächtnisses sind emotional gefärbt.

Lernen ist nicht unverändertes Abspeichern, sondern Aneignen. Neue Erfahrungen werden desto besser behalten, je besser sie verstanden werden. Das aber bedeutet Anpassung an vorhandene Schemata. Somit verstärken Schemata sich durch weiteres Lernen selbst, werden zu Klischees.

Einzelne Erinnerungen sind im Gehirn nicht an einer umgrenzten Stelle lokalisiert, sondern verteilt, allerdings auch nicht über das ganze Gehirn. Sie sind nicht in einzelnen Molekülen gespeichert. Vielmehr sind es zeitliche Muster von elektrischen Signalen, die durch ein räumliches Muster von Neuronen zucken. Das raumzeitliche Muster wird beim Lernen erzeugt, und bei jeder Erinnerung werden die betroffenen Synapsen verstärkt. An verschiedenen Erinnerungen können z.T. dieselben Neuronen beteiligt sein (es sind insgesamt nur etwa 10 Milliarden); aber da sie es in verschiedener Konfiguration sind, sind insgesamt mehr Gedächtnisinhalte möglich als Atome im Universum sind.

Erinnerung ist nicht eine (mehr oder weniger unvollkommene) Reproduktion eines so wie erlebt abgespeicherten Inhalts, sondern seine imaginative Rekonstruktion mit dem Ziel, ihn mit dem Gesamteindruck, den er hinterließ, zu vereinbaren. Die primäre Aufgabe des Gedächtnisses ist es nicht, die Vergangenheit zu konservieren, sondern die Anpassung an die Erfordernisse der Gegenwart zu ermöglichen.

Wenn Gedächtnisinhalte mit neuen Informationen (seien es von außen kommende oder im Rekonstruktionsprozeß einer Erinnerung selbst generierte) überlagert werden, gehen die widersprechenden alten Informationen verloren und sind nicht wieder zu regenerieren. Aufbewahrt wird also nur der letzte Stand. Während Details verfälscht werden, bleibt der Kern einer Erinnerung meist erhalten.

Das Vergessen einer Menge von Gedächtnisinhalten im Laufe der Zeit geht so vor sich, daß der Prozentsatz des pro Zeiteinheit Vergessenen ständig sinkt. D.h. was man nach 50 Jahren noch weiß, davon vergißt man fast nichts mehr.


1 Max-Planck-Forschungsbericht 16/2003

2 Der Terminus ‘Ontologie’ ist in den Jahren seit der Jahrtausendwende deterioriert wie kaum ein zweiter in der Wissenschaft. In den USA hat es seitdem eine Schwemme von Ontologien gegeben, die nichts weiter sind als terminologische Wörterbücher in Form von begrifflichen Netzen. Und wie üblich bedeutet nun auch in Europa ‘Ontologie’ “Terminologie” bzw. “Begriffsnetz”.