Das Denken ist selbst nicht beobachtbar oder “belauschbar”. Selbstverständlich kann man auf das Denken reflektieren. Solche Reflexion garantiert aber nicht, daß man durch sie die Inhalte, Formen und Operationen des (elementaren) Denkens gewahr wird. Wissenschaftliche Reflexion auf das Denken ist natürlich ebensowenig empirische Wissenschaft wie überhaupt bloße Reflexion eine empirische Wissenschaft konstituieren kann. Mangels empirischer Grundlage fand daher die erste Wissenschaft über das Denken in der Philosophie statt. Wissenschaftliche Untersuchung des Denkens wurde jahrtausendelang als genuine Aufgabe der Philosophie gesehen; der schiere Name der Philosophie (“Weisheitsliebe”) erinnert daran.

Spätestens seit Aristoteles ist man der Auffassung, daß es mindestens einige allgemeingültige Gesetze des Denkens gibt, die sich deduktiv herleiten und begründen lassen, zu denen man also in der Tat keine Empirie benötigt. Die für solche Gesetze zuständige Disziplin ist die Logik. Wir kommen in einem späteren Abschnitt auf die Frage zurück, ob die Logik tatsächlich ausschließlich universalen Gesetzen folgt.

Spätestens seit Galilei und dem Empirismus des 17. Jh. erobert empirische Forschung immer weitere Bereiche menschlichen Glaubens und Wissens. Das Denken wird Gegenstand nicht nur der Logik, sondern auch der Psychologie, zunächst unter dem Namen ‘Denkpsychologie’, seit der zweiten Hälfte des 20. Jh. meist ‘kognitive Psychologie’ genannt. Im letzten Drittel des 20. Jh. treten eine Reihe weiterer Disziplinen auf den Plan, die das Denken empirisch untersuchen, so die Neurologie und die Kybernetik. Sie werden unter der Bezeichnung ‘Kognitive Wissenschaften ~ Kognitionswissenschaft’ zusammengefaßt.

Die methodischen Zugänge sind verschieden, haben aber gemeinsam, daß mit dem Denken verbundene wahrnehmbare Phänomene untersucht und als Hinweis auf Denkoperationen genommen werden. Die Psychologie macht z.B. Experimente, in denen das Verhalten der Probanden als durch Denkvorgänge motiviert interpretiert wird. Die Neurologie untersucht Hirnströme als putatives Substrat von geistigen Vorgängen. Kybernetik und Informatik modellieren intelligentes Verhalten auf dem Computer und schließen von dem Modell auf sein Vorbild zurück.

Eines der wichtigsten mit dem Denken verbundenen wahrnehmbaren Phänomene ist die Sprache. Bereits Platons Dialog Kratylos ist ein Versuch, Sprachstruktur als Indiz für Begriffsstruktur zu nehmen, mithin Analyse der Sprache als Instrument der Erkenntnis zu nutzen. Seither hat die Sprachphilosophie immer wieder um diesen Zusammenhang gekreist. In der Neuzeit wurde er in der Sprachpsychologie und Psycholinguistik empirisch untersucht. Die Linguistik hat die Fragestellung nahtlos von der Philosophie übernommen. Das war kein Wunder, denn wissenschaftsgeschichtlich fußt die Linguistik z.T. auf der Philosophie, insbesondere der Logik. Insoweit das gilt, war und ist die Linguistik, wie im Kapitel über wissenschaftstheoretische Grundbegriffe dargestellt, ihrerseits gar keine empirische Wissenschaft und insoweit in keiner anderen methodologischen Situation als die Philosophie. Der Zusammenhang von Sprache und Denken war zentral für die allgemeine Sprachwissenschaft des 19. Jh., wurde dort vor allem in der Sprachtypologie behandelt, allerdings wissenschaftlich nicht wesentlich weiter gebracht, eben weil objektive Kriterien und empirische Methoden fehlten. Linguistisch gefaßt, ist hier i.a. der Zusammenhang zwischen der Struktur der ‘langue’ und dem Denken ihrer Sprachgemeinschaft gemeint. Er ist Gegenstand eines eigenen Abschnitts.

Als wichtig für unseren Zusammenhang bleibt zunächst festzuhalten, daß etwa seit der Mitte des 20. Jh. die diversen mit dem Denken und der Sprache befaßten Disziplinen hinreichend gut als empirische Wissenschaften etabliert sind, daß der Zusammenhang zwischen Sprache und Denken empirisch erforscht werden kann. Auch dieses Kapitel einer Sprachtheorie braucht also nicht mehr auf Spekulation zu beruhen, sondern kann sich auf empirische Forschungsergebnisse stützen.