Als die Sumerer nach Mesopotamien einwanderten, stießen sie auf eine einheimische Bevölkerung, die sich nicht mehr identifizieren läßt. Ihre Sprache bildet das Substrat für das Sumerische. Sie läßt sich nur noch in einigen Bestandteilen des Wortschatzes fassen, die weder dem Sumerischen noch einer der anderen bekannten Sprachen entstammen können. Dazu gehören:
- Ortsnamen auf -all/ill: Kazallu, Babillu; auf -att/-itt/-utt-: Kahat, Elu/ahu/at, Ugarit;
- einige Begriffe aus der Landwirtschaft und Viehzucht;
- Berufsbezeichnungen wie nangar "Zimmermann", ašgab "Lederarbeiter"; sangar "Priester".
Die engsten Nachbarn der Sumerer sind die Akkader und die Elamiter. Während elamischer Einfluß kaum festzustellen ist, finden sich schon auf altsumerischer Sprachstufe Lehnwörter aus dem Akkadischen. Um -2.600 setzt eine Zuwanderung akkadischer Nomaden in größerem Ausmaße ein. Sie drängen die Sumerer in die Städte Mittel- und Südbabyloniens und nehmen selbst das Land ein (Falkenstein 1964, 14). Seit dieser Zeit gibt es einen beträchtlichen sumerisch-akkadischen Bilinguismus. Von etwa -2.350 an wird weithin Akkadisch neben Sumerisch gesprochen und setzt sich gegenüber diesem in der mündlichen Kommunikation durch. Dazu gesellen sich im 2. Jt. andere semitisch sprechende Gruppen wie die Kanaanäer. Sumerisch wird auf den Bereich der schriftlichen Kommunikation zurückgedrängt und stirbt im 2. Jt. als gesprochene Sprache aus. Bis -100 dient es noch als hohe Sprache im sakralen und literarischen Bereich, in seiner Rolle vergleichbar dem Lateinischen in Mitteleuropa bis in die frühe Neuzeit.
Es scheint nicht, daß Sumerisch je eine bedeutende Rolle als internationale Verkehrssprache gespielt hat. Seine kulturgeschichtliche Bedeutung liegt in der Erfindung der Schrift. Die Sprache selbst hat nur auf das Akkadische einen nennenswerten Einfluß genommen, das aber seinerseits untergegangen ist.
Über die Anzahl der Sprecher des Sumerischen kann man nur Mutmaßungen anstellen. Die Größenordnung dürfte zwischen 50.000 und 100.000 liegen. Der Komplexität der sumerischen Gesellschaft entsprach eine reiche soziolektale Gliederung. Unter den diversen literarischen Varianten ist die wichtigste die Frauensprache, genannt eme.sal "dünne/gedrechselte Sprache". Sie ist jedoch erst seit altbabylonischer Zeit belegt, also nachdem Sumerisch schon nicht mehr gesprochen wurde; und sie ist auf den literarischen und kultischen Bereich beschränkt. Emesal wird verwendet, wenn weibliche Wesen sprechen, während in erzählenden Partien, in den Reden der Männer sowie außerhalb der literarischen Überlieferung auch in den Reden von Frauen Emegir, die Standardvariante, verwendet wird (Falkenstein 1964, 18). Die betreffenden kultischen Texte selbst wurden rezitiert von besonderen Priestern, gala oder kalû genannt, die Eunuchen waren.
Emesal unterscheidet sich von Emegir hauptsächlich in der Phonologie (Thomsen 1984:287-291). T$ zeigt die wichtigsten Lautersetzungen.
T$. Phonologische Entsprechungen von Emegir und Emesal
eme.gir15 | eme.sal | eme.gir15 | eme.sal | Bedeutung |
---|---|---|---|---|
Konsonanten | ||||
d | z | udu | e.zé | Schaf |
g | b | šà-g | šà-b | Herz |
ŋ | m | diŋir | dìm.me.er | Gott |
ŋ | n | saŋ | še.en | Kopf |
h | g | ha.lam | ge.le.èŋ | zerstören |
m | n | munus | nu.nus | Frau |
m | ha.lam | ge.le.èŋ | zerstören | |
n | l | niŋir | li.bi.ir | Herold |
n | m | nu.gig | mu.gi4.ib | Hierodule |
n | š | nin | šen | Dame |
s | z | sum | zé.èŋ | geben |
s | š | saŋ | še.en | Kopf |
Vokale | ||||
a | e | alim | e.lum | Reh |
i | e | inim | e.ne.èŋ | Wort |
i | u | i | u5 | dick |
u | e | udu | e.zé | Schaf |
Einige dieser Lautentsprechungen scheinen allgemeineren Regeln zu gehorchen. So folgen "/g/ > /b/" und "/ŋ/ > /m/" einer Regel "Velar wird zu Bilabial". Auch ein paar weitere Entsprechungen sorgen dafür, daß die "dünne Sprache" insgesamt mehr vordere Phoneme hat als der Standard, was auf einer Verschiebung der Artikulationsbasis nach vorn beruhen kann. Daneben gibt es jedoch eine Fülle von Ungereimtheiten, z.B. die anscheinend nicht phonologisch bedingten Aufspaltungen von /n/, /s/ und /i/. Es ergibt sich eher das Bild einer Kunstsprache als eines auf natürlich-historische Weise entstandenen Dialekts.
Abgesehen von denjenigen lexikalischen Unterschieden, die durch die genannten Lautveränderungen bedingt sind, gibt es einzelne besondere Emesal-Wörter wie aš.te "Thron" statt Emegir gu.za, umun statt en "(Opfer-)Herr" usw. Das grammatische System ist für die beiden Varianten dasselbe. Für die Emesal-Wörter gibt es keine eigenen Logogramme. Um ihre lautlichen Eigenheiten zu bezeichnen, muß man sie syllabisch schreiben.
Neben Emesal werden in den Texten noch eine Reihe weiterer Kunstsprachen erwähnt, wie eme.gal "große Sprache", eme.sukud(-da) "hohe Sprache", eme.suh(-a) "erlesene Sprache", eme.te.na "schiefe Sprache", die aber kaum überliefert sind. Außerdem gibt es berufsspezifische Fachsprachen wie eme.má.lah4.a "Schiffersprache", eme.udula "Hirtensprache", eme.nu.èša "Sprache der Nueš-Priester" (Falkenstein 1964, 17).