Der Prager Typologe Skalička vertrat im Anschluß an das 19. Jh., besonders an Humboldt, eine holistische Typologie, die nach Zusammenhängen zwischen Eigenschaften im Sprachsystem sucht. Erscheinungen können innerhalb einer Sprache in günstiger oder ungünstiger Beziehung zueinander stehen. "Die Gesamtheit der günstigen Erscheinungen kann Typ genannt werden. In einer einzelnen Sprache können verschiedene Typen zugleich zur Geltung kommen." (Skalička 1958:6)
Die Konzeption ist am klarsten in dem Aufsatz "Ein typologisches Konstrukt" (1966) ausgearbeitet. Danach sind Typen "typologische Konstrukte", Modelle, die als solche von keiner Sprache realisiert zu sein brauchen. Ein zentrales Element seiner Typologie ist der Status der ‘Formalelemente’, womit grammatische Formative, also die Träger grammatischer Bedeutungen gemeint sind. Er stellt folgende Typen auf:
- Agglutinierend: Die Formalelemente sind keine Wörter, sondern Affixe einer Wurzel. Wortarten fehlen, jedes Affix kann an jede Wurzel treten. Wortbildung nur durch Derivation. Derivations- und Flexionsaffixe sind nicht unterschieden. Die Affixe sind hypertroph, daher "silbisch selbständig", weisen wenig Homonymie und Synonymie auf. Wegen fehlender Kongruenz feste Wortstellung. Nebensätze fehlen zugunsten komplizierter Verbalnomina; hängt mit dem Fehlen von Wortarten zusammen.
Bsp.: Türkisch, Ungarisch, Finnisch, Armenisch, Baskisch, Georgisch, Eskimo.
- Flektierend: Jedes Wort hat genau eine Endung, "welche die grammatische Einordnung des Wortes besagt." Sie drückt auch die Wortart sowie Unterklassen aus. Wortbildung durch Übergang in andere Wortart. Wenige, von den Flexionsaffixen wohl unterschiedene Ableitungsaffixe. Die Flexionsaffixe sind silbisch unselbständig, haben mehrere Funktionen und einen hohen Grad an Synonymie und Homonymie. Freie Wortstellung. Reiche Entwicklung der Nebensätze.1
Bsp.: Tschechisch, Lateinisch, Griechisch, Deutsch, Russisch, Swahili.
- Isolierend: Formalelemente sind Wörter, wenige Affixe. Keine Wortarten. Keine Derivation. Tendenz zur Einsilbigkeit, viel Syn- und Homonymie in lexikalischen und grammatischen Formativen. Starre Wortstellung. Viele Nebensätze.
Bsp.: Englisch, Französisch, Hawaiianisch.
- Polysynthetisch: Keine eigentlichen Formalelemente, alle haben lexikalische Bindung. Keine Wortarten. Komposition statt Derivation. Weder Derivations- noch Flexionsaffixe. Keine morphologischen Klassen, einige Hom- und Synonymie. Feste Wortstellung. Komposita statt Nebensätzen.
Bsp.: Chinesisch, Vietnam, Thai, Ewe, Yoruba, Mandingo
- Introflexiv: Formale Elemente sind Infixe oder Abwandlungen im lexikalischen Formativ. Wortarten im Ausdruck differenziert. Wortbildung ebenfalls durch innere Abwandlung. Kein Unterschied zwischen Flexion und Derivation. Klarer Gegensatz zwischen "formalen und semantischen" Elementen. Das Konstrukt erlaubt freie Wortstellung durch Kongruenz und Bildung von Nebensätzen.
Bsp.: Semitisch
Wie man sieht, ist Sapir 1921 nicht rezipiert. Der Terminus ‘isolierend’ wird i.w. für den Typ verwendet, den A. Schlegel ‘analytisch’ genannt hatte, während die traditionell ‘isolierend’ genannten Sprachen jetzt verwirrenderweise ‘polysynthetisch’ heißen, offenbar wegen ihrer ausgiebigen Komposition.
Skalička (1966:163) faßt sein Modell wie folgt zusammen:
- Alle Eigenschaften der Sprachsysteme kann man in Dimensionen zusammenstellen. Die Endpunkte einiger Dimensionen sind erreichbar, die Endpunkte anderer Dimensionen sind unwahrscheinlich oder unmöglich.
- Ein Bündel aufeinander abgestimmter Erscheinungen, d.h. der Typus, kann in einem Konstrukt dargestellt werden.
- Bekanntlich ist keine Sprache die Realisation eines einzigen Typs. ... Die Mischung der Sprachtypen ermöglicht den Bau der Sprachsysteme.
Diese Typologie ist einer der letzten großen Versuche zu einer holistischen Typologie. Sie wird dennoch kaum noch weitergeführt, weil die postulierten Bündelungen z.T. willkürlich erscheinen.
1 Skalička charakterisierte Sprachen des flektierenden Typs scherzhaft so: eine Sprache, deren Erlernung kein ödes Vokabellernen erfordert, denn wenn man die Grammatik gelernt hat, kennt man schon das ganze Lexikon.