Der Ausdruck SAE-Sprache ist am besten vor seinem wissenschaftsgeschichtlichen Hintergrund zu verstehen. Der us-amerikanische Linguist Benjamin L. Whorf hatte in den 30er Jahren des 20. Jh. durch das Studium diverser Indianersprachen, insbesondere des Hopi, die Erkenntnis, daß die Struktur dieser Sprachen (sowie auch von Sprachen anderer Erdteile) erheblich abweicht von der Struktur der Sprachen, mit denen man in der westeuropäischen Bildungstradition zu tun bekommt. Er schreibt 1941:

Da sich das Englische, Französische und Deutsche und die anderen europäischen Sprachen, mit der möglichen, aber fraglichen Ausnahme des Balto-Slavischen und des Nicht-Indoeuropäischen, in bezug auf die verglichenen Züge kaum unterscheiden, habe ich sie zu einer Gruppe zusammengefaßt, die ich kurz mit SAE für «Standard Average European» (Standard-Durchschnitts-Europäisch) bezeichne. (Whorf 1963:78)

Wie man sieht, ist der Begriff einer SAE-Sprache alles andere als sauber definiert. Er reicht aber tatsächlich in vielen Fällen hin, wo nur gesagt werden soll, daß die Sprachen, die zur westeuropäischen Bildungstradition gehören, einander relativ ähnlich sind und daher keinen repräsentativen Eindruck von der sprachlichen Vielfalt auf der Welt vermitteln.


Whorf, Benjamin L. 1963, Sprache - Denken - Wirklichkeit. Beitrage zur Metalinguistik und Sprachphilosophie. Reinbek: Rowohlt (Rowohlts Deutsche Enzyklopadie, 174).