Dadurch, daß zwei Leute sich unterhalten, schaffen sie zwischen sich eine gedachte Welt, die von den Vorstellungen bevölkert ist, die sie im Laufe ihrer Rede eingeführt haben, sowie von deren Eigenschaften und den zwischen ihnen bestehenden Beziehungen. Wenn ich z.B. meinem Urenkel ein gewisses Märchen erzähle, befinden sich in dieser gedachten Welt nach und nach ein kleines Mädchen mit einer roten Kappe und mit Namen Rotkäppchen, eine alte Frau, welche als Großmutter auf Rotkäppchen bezogen ist, ein böser Wolf, ein Korb, den Rotkäppchen trägt usw. Eine solche Welt heißt Redeuniversum. Für das Redeuniversum gilt dasselbe, was anderswo über alle Vorstellungen und Gedanken gesagt wurde: es kann sich auf eine reale Welt beziehen, muß aber nicht. Aufgebaut und manipuliert wird es jedenfalls durch Rede.

B1. Wenn wir einen fähigen Bundeskanzler wüßten, würden wir ihn wählen.

Durch das Nominalsyntagma einen fähigen Bundeskanzler in B1 wird eine Vorstellung ins Redeuniversum eingeführt (von der gleichzeitig mitgeteilt wird, daß ihr kein Denotatum (s.u.) entspricht). Auf dieselbe Vorstellung bezieht sich im selben Satz weiter hinten das Wort ihn. Der gedachte fähige Bundeskanzler ist der Referent der beiden Ausdrücke. Da das Redeuniversum aktuell und flüchtig ist, ist ein Referent etwas Aktuelles, Spezifisches. Er ist also kein Begriff (Designatum), sondern ein Fall von ‘Benutzerbedeutung’.

Der Referent ist auch zu unterscheiden vom Denotatum. Der Referent existiert nur dadurch, daß er durch Rede geschaffen wird. Das Denotat existiert unabhängig von Rede und Sprache.

Zwei Ausdrücke, die denselben Referenten haben, wie z.B. einen fähigen Bundeskanzler und ihn in B1, sind koreferent(iell). Aber natürlich sind die beiden Ausdrücke nicht synonym. Auch hierin zeigt sich, daß Sinn (Benutzerbedeutung) und Bedeutung (Standardbedeutung) auseinanderzuhalten sind.