Begriff der Pragmatik

Der Ausdruck Pragmatik kommt von griech. pragma “Handlung”, pragmatikós “auf Handeln bezogen” und würde insofern eine jegliche Disziplin bezeichnen, die sich mit menschlichem Handeln befaßt. Eine solche Disziplin ist auch verschiedentlich konzipiert worden und heißt auf Deutsch ‘Handlungstheorie’. In der Linguistik wird der Terminus Pragmatik in einem engeren Sinne gebraucht (und deswegen wird manchmal der Präzision halber auch linguistische Pragmatik gesagt). Pragmatik ist, als Disziplin der Linguistik, die Lehre vom Platz der Sprachtätigkeit im Handeln des Menschen. Ihr Gegenstand sind Sprechakte, das sind Akte der Verständigung (der Redeerzeugung und des Redeverstehens), insoweit sie von Menschen in Situationen sozialer Interaktion ausgeführt werden.

Innerhalb der Linguistik steht die Pragmatik neben der Systemlinguistik. Denn das, was ein Sprecher meint und was ein Hörer versteht – der Sinn einer Nachricht –, ist nur zum Teil vom Sprachsystem, das sie verwenden, bedingt. Es ist wesentlich durch die Sprechsituation mit allen ihren Komponenten und Aspekten, vor allem den Intentionen der Teilnehmer, bedingt. Die Pragmatik setzt also die Systemlinguistik, insbesondere die Semantik, voraus, und kombiniert diese mit Disziplinen, deren Gegenstand (auch) kognitive und kommunikative Akte des Menschen sind, darunter Semiotik, Anthropologie, Handlungstheorie und Kommunikationstheorie. Einige dieser Disziplinen betreiben ihrerseits Pragmatik, also ggf. nicht-linguistische Pragmatik.

Abgrenzung des Feldes

Pragmatik ist nicht klar gegen Semantik abgegrenzt. Die Idee der Unterscheidung ist jedenfalls die folgende:

Diese Abgrenzung nimmt also auf die Unterscheidung von Bedeutung und Sinn Bezug und sagt, auf zwei kurze Begriffe gebracht, nichts anderes als:

Die Abgrenzung ist dennoch nicht ganz trennscharf, denn sie setzt einen sauber abgegrenzten Begriff des Sprachsystems voraus. Tatsächlich sind daran aber einige Aspekte nicht hundertprozentig klar:

Wenn ein relativ enger Begriff von Sprachsystem gebildet wird, kann auch die Semantik einigermaßen sauber eingegrenzt werden. Der Effekt eines solchen Verfahrens ist, daß Pragmatik negativ definiert wird als zuständig für alle Aspekte des in der Kommunikation Übermittelten, die nicht im Sprachsystem niedergelegt sind.1 So erklärt es sich, daß die Pragmatik gelegentlich etwas heterogen aus diversen Teilgebieten zusammengesetzt ist, bei denen der gemeinsame Nenner nicht sogleich ersichtlich ist.

Zu den Gebieten der Linguistik, deren Zuordnung in diesem Sinne zweifelhaft ist, gehört insbesondere die Informationsstruktur von Sätzen und Texten. Diese wird gelegentlich2 zur Pragmatik gerechnet. Sie fällt aus folgendem Grunde nicht unter die obige Definition: Die Informationsstruktur ist eine Eigenschaft eines – allerdings für Prosodie spezifizierten – Satzes, nicht eine Eigenschaft einer Äußerung (s. Satz vs. Äußerung).

Die Referenz eines sprachlichen Ausdrucks wird unter Zuhilfenahme einer heterogenen Menge von Feldern konstruiert, nämlich

  1. der sprachlichen Bedeutung
  2. des Redeuniversums
  3. enzyklopädischen Wissens
  4. gemeinsamer Erfahrung der Sprechaktteilnehmer
  5. der Sprechsituation.

Zur Semantik gehören die Aspekte #1 und #2 der Referenz, einschließlich der Regeln der Anapher. Wenn z.B. ein neutrales Substantiv wie Model anaphorisch mit sie aufgenommen wird, hat das nichts mit Pragmatik zu tun; denn eine linguistische Erklärung des Phänomens braucht über die Sprechsituation nichts zu wissen.

Dasselbe gilt für Operationen über das Redeuniversum: Operationen der Determination, die Referenten in Bezug zum Redeuniversum setzen, und interpropositionale Operationen, die Propositionen in Bezug zum Redeuniversum setzen, gehören zur Semantik, soweit sie eben im Sprachsystem geregelt und folglich in Nachrichten in regelmäßiger Weise kodiert sind.

Das Feld #3 gehört jedenfalls nicht zur Semantik, wiewohl die Grenze zwischen semantischem und enzyklopädischen Wissen fließend ist. Es gehört auch nicht zur Pragmatik, weil man zur Interpretation von Ausdrücken, die enzyklopädisches Wissen heranziehen, die Sprechsituation nicht kennen muss.

Das Feld #4 gehört i.w.S. zur Sprechsituation, insofern es sich um mentale Repräsentationen von Menschen in ihrer Eigenschaft als Sprechaktteilnehmer handelt. Hierfür ist also die Pragmatik zuständig.

Wenn schließlich ein referentielles Pronomen, wie in das ist schön, sich auf einen Gegenstand der Sprechsituation bezieht, so muss man diese kennen, um seinen Referenten zu kennen. Das Feld #5 der Referenz gehört folglich ebenfalls zur Pragmatik.


1 In Levinson 1983:29 et pass. wird Pragmatik ganz anders zugeordnet, nämlich nicht nur dem Sprachsystem, sondern sogar der Grammatik. Hier ist ‘Grammatik’ anscheinend koextensiv mit der Sprachbeherrschung einer Person.

2 z.B. in der Amsterdamer Functional Grammar bzw. Functional Discourse Grammar