Überblick

Zu den romanischen zählen diejenigen Kreolsprachen, die Französisch, Spanisch oder Portugiesisch als Superstrat haben.

Französische Kreolsprachen werden vor allem in der Karibik gesprochen, z.B. auf Haiti, Guadeloupe, Martinique und in Französisch-Guyana. Außerdem gibt es sie im Indischen Ozean, z.B. auf Réunion, Mauritius und den Seychellen. Die Franzosen richteten in der Karibik seit 1635, im Indischen Ozean seit 1646 Kolonien ein. Die meisten dieser Gebiete gehören schon seit dem 18. Jh. nicht mehr zu Frankreich; nichtsdestoweniger haben sich die unter französischer Herrschaft entstandenen Kreolsprachen überwiegend bis heute gehalten. In mehreren der betreffenden Länder, vor allem natürlich denjenigen wie die Seychellen, die noch zu Frankreich gehören, ist das Französische Amtssprache.

Spanische Kreolsprachen werden auf den Niederländischen Antillen (Papiamentu) und den Philippinen (Chabacano) gesprochen. Hier sind mittlerweile andere Sprachen Amtssprache.

Portugiesische Kreolsprachen werden noch auf einigen Inseln an der Westküste Afrikas wie den Kapverden und São Tomé e Principe gesprochen. Die Amtssprache ist hier in jedem Fall Portugiesisch.

Das Kreol von Haiti

Das haitische Kreol ist die überhaupt größte Kreolsprache. Es ist in Diglossiebeziehung zum Französischen, das die Amtssprache von Haiti ist. Da Französisch den Status der regional relevanten Kultursprache hat, wird das Kreol kaum als Schriftsprache benutzt.

Sprachsystem

Das Lexikon ist zum allergrößten Teil französischer Herkunft, und Französisch ist auch heute die Lexifikatorsprache. Aber es gibt auch Wörter aus den Substratsprachen und Wörter anderer Kolonialsprachen.

Ein erheblicher Teil der Wörter unterscheidet sich von ihren französischen Basen durch “falsche Abtrennung”:

Falsche Abtrennung im haitischen Kreol
KreolFranz.Bedeutung
lamèmerMeer
laplipluieRegen
zongongleNagel
zeoeufEi
difefeuFeuer
dlo > gloeauWasser

Obwohl die Struktur der Substratwörter stark verändert wurde, ist die Phonologie der französischen sehr ähnlich. Allerdings:

Die Orthographie war ursprünglich stark an die französische angelehnt, wurde aber zuerst 1941 und dann endgültig durch das Office National d'Alphabétisation et d'Action Communautaire (ONAAC) so festgelegt, daß sie ziemlich nah an der Phonologie ist.

Die Grammatik ist relativ arm an Flexionsmorphologie. Die Kopula (se < frz. c'est) ist optional.

Der definite Artikel ist suffixal.

Textprobe

Die folgende Textprobe hat folgende Zeilenstruktur:

  1. Originaltext in ONAAC-Orthographie,
  2. etymologische Glosse,
  3. deutsche interlineare Morphemglosse,
  4. idiomatische deutsche Übersetzung.
 
La-Bèl-de-Noui
Haitische Textprobe (Valdman 1981)
1Atògenyoufi.
 alorsété?unefille
 alsoPRTEXISTeinMädchen
“Es war einmal ein Mädchen.”
2Libèlsitanyorélé-lLa-Bèl-de-Noui
 luiétébelleaussi tanteuxétéappeler-leLa Belle de Nuit
 siePRTschöndermaßensiePRTnenn-sieDie Schöne der Nacht
 “Sie war dermaßen schön, daß sie “Die Schöne der Nacht” genannt wurde.”
3Nifrè-linisè-liyotoutjalouz,
 etfrère-luietsoeur-luieuxtouteétéjaloux
 undBruder-seinundSchwester-seinsieallPRTeifersüchtig
 “Ihre Brüder und Schwestern waren alle eifersüchtig (auf sie).”
4yotavléouè-lmouri,
 euxétéavouloirvoir-lemourir
 siePRTFUTwollseh-ihnsterb
 “sie hätten sie sterben sehen wollen,”
5menpèsonnpaconnsa
 maispersonnepasétéconnuça
 aberniemandNEGPRTwissdas
 “aber niemand wußte das.”
6Yofèmenmanmzèltoutjounennankay:
 euxétefermermademoiselletoutejournéedans?
 siePRTschließFräuleinganzTaginHaus
 “Sie schlossen das Fräulein den ganzen Tag im Haus ein:”
7Oumaladfasil,pitonoutravaydoubnanjaden
 vousmaladefacileplutôtnoustravaildoubledansjardin
 dukrankleichteherwirarbeitdoppeltinFeld
 “Du wirst zu leicht krank; wir arbeiten lieber doppelt so viel auf dem Felde,”
8pasépounouvéyépoumounlafyèv.
 passerpournousveillerpour?la fièvre
 alsfürwirwachfürMenschkrank
 “als über eine Kranke zu wachen.”
9genbalosnonvéyénanvouézinaj,moun-yopran:
 lorsqueété?balleou si nonveillerdansvoisinage?-euxprendre
 wennPRTEXISTTanzoderWacheinNachbarschaftMensch-PLanfang
 “Wenn es in der Nachbarschaft einen Ball oder eine Totenwache gab, fingen sie an:”
10"Mengadéfigimounkivlésòti-a-non!
 maisregarderfigure?quivouloirsortir-là-non
 aberanschauGestaltMenschRELwollausgeh-DEF-EMPH
 “"Aber nun seht euch nur das Gesicht dieser Person an, die ausgehen will!”
11Anbaounouè-nouè.
 en basyeuxvousnoir-noir
 unterAugeduschwarz-schwarz
 “Deine Augenränder sind ganz schwarz.”
12MayòtosnonSonsonarétéakou.
 MayòtouSonsonaresteravecvous
 MayòtoderSonsonFUTbleibmitdu
 “Mayot oder Sonson wird bei dir bleiben.”
13Pakrié!Nadioutousakfèt."
 pascriernousadirevoustoutçaquefait
 nichtschreiwirFUTsagdualldasRELgemacht
 “Wir werden dir alles erzählen, was passiert."”
14Bon!Youjoulchitabientrankil,
 bonun?jourelleété?bientranquil
 guteinTagsiePRTsitzwohlruhig
 “Na gut. Eines Tages saß sie schön ruhig,”
15coudlifennèt
 coudeluibordfenêtre
 EllbogensieRandFenster
 “den Ellbogen auf das Fensterbrett gestützt”
16apmirépapiyonkitapbaykè-yobann;
 aprèsmirarpapillonquiétéaprès?coeur-euxbande,
 KONTschauSchmetterlingRELPRTKONTgebHerz-sieGruppe
 “und sah den tändelnden Schmetterlingen zu;”
17pititrouavinpasékoté-l.
 petitroivientpasserbordcôté-elle
 kleinKönigkommvorbeigehRandSeite-sie
 “da kommt der Königsohn an ihr vorbei.”