Kasus ist eine nominale Flexionskategorie, welche die syntaktische oder semantische Funktion des Nominalsyntagmas ausdrückt, in oder an dem sie auftritt. Eine Adposition (ein Verhältniswort) ist ein grammatisches Wort, welches ein Nominalsyntagma regiert, dessen syntaktische oder semantische Funktion es ausdrückt. Kasus und Adpositionen haben also dieselben Funktionen. Sie werden deshalb unter der Bezeichnung ‘Kasusrelator’ zusammengefaßt. Zwischen ihnen besteht ein fließender Übergang, der durch Grammatikalisierung bedingt ist.

Der unterschiedliche Grammatikalisierungsgrad von Kasus und Adpositionen bedingt folgende Aufgabenteilung zwischen ihnen:

So drückt die Präposition in B1 eine konkrete lokale Relation aus und steht in dieser Funktion in Opposition zu anderen Präpositionen, die andere Relationen ausdrücken würden. Auch die Präposition in B2 drückt eine semantische Relation aus. Die benefaktive Relation, um die es sich hier handelt, hat aber bereits einen Status in der Grammatik. Sie kann in der Tat auch bloß durch einen Kasus ausgedrückt werden, eben den in B3 erscheinenden Dativ. Hier hat der Kasus daher eine konkrete semantische Funktion. In B4 dagegen fungiert der Dativ als rein grammatischer Kasus, denn er ist ja durch die Valenz des Verbs bedingt. Hier steht er auch nicht mehr in Opposition zu anderen Kasusrelatoren (schenkte für ihren Freund ein Buch weist nur scheinbar eine Besetzung derselben Position auf).

B1.Erna lag unter dem Tisch.
B2.Erna kaufte für ihren Freund ein Buch.
B3.Erna kaufte ihrem Freund ein Buch.
B4.Erna schenkte ihrem Freund ein Buch.

Die Idee der “Markierung” eines grammatischen Verhältnisses bzw. eines “Markers” einer grammatischen Funktion setzt voraus, daß man das Verhältnis oder die Funktion unabhängig von jeglichem grammatischen Formativ, welches im Zusammenhang mit ihnen auftritt, konzipieren und ihren Trägern (Relata) zuschreiben kann. Die Markierung mit morphologischen Mitteln, eben mit Markern, sorgt dann dafür, daß der Empfänger erkennen kann, daß ein solches Verhältnis besteht bzw. eine solche Funktion erfüllt wird. Ein Kasus ist solch ein Marker, und Kasusmarkierung ist in diesem Sinne eine Technik, das Bestehen einer syntaktischen Relation im Ausdruck zu markieren.

Der Begriff trifft allerdings das Wesen des Kasusrelators nicht. Eine genetische Betrachtung des Kasusrelators zeigt, daß er ein bedeutungstragendes Element mit einer modifikativen und einer rektiven Leerstelle ist und so in der Lage ist, ein NS in eine spezifische semantische Beziehung zu seinem Kontext zu setzen. Diese Beziehung bestünde ohne den Relator gar nicht. Kasusmarkierung im obigen Sinne tritt erst bei fortgeschrittener Grammatikalisierung auf, wenn der Kasus seine konkrete Bedeutung und somit seine ursprüngliche Funktion verloren hat und in der Tat ein konditioniertes Symptom einer bestehenden syntaktischen Relation ist.

Die von Kasusrelatoren ausgedrückten semantischen Funktionen – eben die Kasusbedeutungen – können wie folgt auf einem Kontinuum zunehmender Grammatikalisierung zwischen ‘semantisch’ und ‘syntaktisch’ (oder grammatisch) arrangiert werden:

Konkrete und grammatische Kasus
Funktion
Relation
semantisch←→syntaktisch
adverbalInstrumentalAllativDativAkkusativNominativ
BenefaktivAblativLokativErgativAbsolutiv
adnominalGenitiv

Das Schema zeigt nur eine illustrative Auswahl von Kasusfunktionen. Funktionen in derselben Spalte weisen annähernd denselben Semantizitäts-/Grammatikalitätsgrad auf. In den beiden letzten Spalten ist das Arrangement der adverbalen Funktionen in zwei Zeilen auf akkusativischen vs. ergativischen Satzbau bezogen. Das Kontinuum ist zur linken Seite offen; es gibt in den Sprachen der Welt Dutzende von sehr spezifischen Kasusfunktionen. Nach rechts endet das Kontinuum bei den rein grammatischen Kasus, die ausschließlich durch bestimmte syntaktische Konstellationen, vor allem durch Rektion, konditioniert sind.

Dieses Kontinuum der Semantizität vs. Grammatikalität von Kasusfunktionen korreliert mit der Hierarchie syntaktischer Funktionen. Tendentiell werden die höheren syntaktischen Funktionen durch grammatische Kasus – wenn überhaupt –, die niedrigeren durch konkrete Kasus markiert.

Anhand des Kontinuums läßt sich folgendes implikative Gesetz über den Einsatz von Kasusrelatoren formulieren: Wenn eine Sprache für Funktionen auf einem gegebenen Punkt des Kontinuums einen Kasusrelator einsetzt, dann setzt sie auch für die Funktionen links davon Kasusrelatoren ein. Anders gesagt: die Funktionen rechts auf dem Kontinuum werden am ehesten nicht durch Kasusmarkierung bezeichnet. Von rechts nach links gehend findet man üblicherweise zunächst Fehlen von Markierung, dann evtl. Kasusaffixe und schließlich Adpositionen.

Da der Begriff des Kasusrelators sowohl funktional als auch strukturell sehr weit gefaßt ist, versteht es sich, daß tatsächlich die meisten Sprachen Kasusrelatoren haben. Eine Ausnahme bilden rein isolierende Sprachen wie Vietnamesisch: Kasus gibt es dort nicht, und Wörter, die anstelle unserer ‘auf’, ‘für’ usw. verwendet werden, sind dort keine grammatischen Formative (und folglich keine Kasusrelatoren), sondern Vollwörter (Verben oder relationale Substantive).