Das Erkenntnisziel einer Typologie ist es, sich Überblick und Ordnung in der Vielfalt von Phänomenen eines Objektbereichs zu verschaffen. Dazu führt man die Vielfalt auf eine Menge von Typen zurück. Typologie heißt sowohl diese Operation als auch ihr Ergebnis, eben die Menge von Typen.

Der Begriff des Typs gehört zu den Grundbegriffen der allgemein-vergleichenden Sprachwissenschaft wie auch analoger Zweige vieler anderer Disziplinen. Ein Typ ist eine zusammenhängende Menge von Gestaltungsprinzipien, die eine Teilmenge von Individuen innerhalb einer Gesamtheit strukturieren. Damit verbindet sich der Anspruch, daß die Zuordnung eines Individuums zu einem Typ etwas über sein Wesen aussagt. Ein gutes Beispiel sind die hippokratischen Temperamente. In der Medizin des Hippokrates (460 - 370 v.Ch.) spielen die Körpersäfte eine grundlegende Rolle. Auf ihnen basiert seine Lehre der Persönlichkeitstypen.

Die Temperamente nach Hippokrates
vorherrschender
Körpersaft
TemperamentKennzeichen
Blutsanguinischlebhaft, emotiv
Lymphephlegmatischlangsam, kalt
gelbe Gallecholerischzornig, bitter
schwarze Gallemelancholischdüster, pessimistisch

Die Zeilen der Tabelle enthalten die vier Temperamente. Die letzte Spalte nennt die vorherrschenden Merkmale, die jeden Typ kennzeichnen. Die zweite Spalte bringt das, was jedes Temperament ausmacht, auf den Begriff [die Adjektive sind von griechischen und lateinischen Substantiven abgeleitet, welche jeweils auf die Körpersäfte der ersten Spalte anspielen]. Die erste Spalte gibt einen Faktor an, der für jedes Temperament entscheidend und für die kennzeichnenden Eigenschaften verantwortlich ist.

Damit sind die wesentlichen Elemente jeder Typologie beisammen:

Ein ähnliches Beispiel liefern die Kretschmerschen Konstitutionstypen (athletisch, pyknisch, asthenisch).

Die Eigenschaften, an denen man die Typen erkennt, sind in einem jeweils näher zu bestimmenden Sinne wesentlich. Ob einer lebhaft oder eher düster ist, scheint für ihn eher kennzeichnend (“wir wissen dann, was für eine Art von Mensch das ist”) als ob er Briefmarkensammler oder Bierdeckelsammler ist.

Im Zusammenhang damit ist eine Typologie auch nicht eine beliebige Einteilung der Population nach ad hoc gewählten Kriterien, sondern sie ist eine Theorie der Population. Die Kriterien sind nämlich Parameter, die durch den Begriff, der die Population konstituiert, mitgegeben sind. Am Beispiel gesprochen: Es gehört notwendig zum Menschen, daß er ein Gemüt hat; und deswegen machen die verschiedenen Ausprägungen davon wesentlich verschiedene Arten von Menschen aus. Dagegen gehört es nicht zum Begriff des Menschen, daß er etwas sammelt; und insofern ist die Unterteilung in Bierdeckel-, Briefmarken- und Automodellsammler nicht Bestandteil einer Theorie des Menschen.

Ferner variieren die Eigenschaften in der Population nicht beliebig in dem Sinne, daß prinzipiell alle miteinander frei kombinierbar wären, sondern sie hängen miteinander zusammen. So hängen etwa in der Spalte 'Kennzeichen' der hippokratischen Temperamentenlehre die Eigenschaften 'zornig' und 'bitter' miteinander zusammen, während dies etwa von den Eigenschaften 'zornig' und 'blond' nicht erwartet werden würde. Dieser Zusammenhang ist die Voraussetzung dafür, daß man allererst in der Population Typen identifizieren kann. Die Merkmale sind zu Typen gebündelt.

Der Typ ist ein Konstrukt, will sagen: eine ideale reine Form, mit der die vorkommenden Gegenstände verglichen werden und der sie mehr oder minder entsprechen. Ein gegebener Gegenstand instantiiert einen Typ in einem gewissen Maße. Kein Mensch ist ausschließlich sanguinisch; er hat auch cholerische oder melancholische Anteile. Das invalidiert die Typologie in keiner Weise. Es mindert allerdings ihren Erklärungswert. Denn wenn ein Sanguiniker nicht-sanguinisches Verhalten an den Tag legt, so liegt das halt daran, daß er auch Anteile anderer Typen in sich trägt. Weiteres zur Falsifizierbarkeit von Theorien auf der Website über Methodologie.

Die Eigenschaften sind von den Wirkungsprinzipien logisch unabhängig. Die Eigenschaften sind beobachtbar und insofern ein nicht hintergehbares Datum. Die Wirkungsprinzipien sind nicht beobachtbar, sondern Bestandteil einer wissenschaftlichen Theorie, die sich als unfruchtbar erweisen kann. Dies wird gerade an Hippokrates' Temperamenten deutlich: Die kruzialen Merkmale sind allgemein-menschlicher Erfahrung zugänglich. Die Temperamente entsprechen durchaus unserer Alltagserfahrung und sind hilfreich bei der Erfassung des Wesens einer Personen. Hippokrates' Erklärungsprinzipien dagegen scheinen kaum verifizierbar oder falsifizierbar. Es kann folglich passieren, daß für eine Typologie eines Tages bessere Erklärungsprinzipien gefunden werden.

Eine Typologie ist keine erschöpfende Theorie ihres Gegenstandsbereichs. Die Gegenstände haben auch noch andere Eigenschaften (der Begriff enthält noch andere Parameter), die durch die Typologie nicht erfaßt werden. Z.B. ist der Unterschied der Geschlechter für Menschen wesentlich; aber er scheint nicht mit den Temperamenten zusammenzuhängen. Es können folglich einander ergänzende Typologien nebeneinander existieren. Freilich bleibt es Aufgabe der Wissenschaft, weitere Zusammenhänge aufzudecken und umfassendere Typologien aufzustellen. Man kann die Typologie geradezu dadurch charakterisieren, daß sie nach immer umfassenderen Zusammenhängen sucht. Das Ideal einer solchen Forschung ist eine holistische (ganzheitliche) Typologie, d.h. eine solche, neben der keine konkurrierenden Typologien desselben Gegenstandsbereichs stehen, sondern die in kohärenter Weise die gesamte Phänomenologie erfaßt. Eine nicht-holistische Typologie, also eine solche, die noch Raum für gleichberechtigte, auf anderen, ebenso wesentlichen Merkmalen desselben Gegenstandsbereichs fußende Typologien läßt, ist eine partielle Typologie. Das Ideal der holistischen Typologie treibt die Suche nach immer weiteren Zusammenhängen an. Im Falle der Sprachtypologie entspricht es auch A. Meillet's immer wieder angerufenem Dictum

une langue est un système où tout se tient.

Es ist also durchaus im Sinne einer strukturalen Sprachwissenschaft. Dennoch ist es – wie Ideale das so an sich haben – unerreichbar.