Einführung

Vom linguistischen Standpunkt betrachtet, ist ein phonologischer Prozeß ein Prozeß, der eine phonologische Repräsentation als Input hat und diese in eine andere phonologische Repräsentation als Output konvertiert. Dies ist ein Mittel, um zwei Arten von Phänomenen zu beschreiben:

Im letzteren Falle spricht man von Lautwandel oder phonologischem Wandel. Für jeglichen phonologischen Prozeß gilt, daß im Prinzip alle Wörter (genauer: alle bedeutungstragenden Einheiten) betroffen sind, welche eine bestimmte phonologische Form haben. Wenn man z.B. sagt: “Obstruenten im Silbenreim werden stimmlos”, so meint man, daß in allen bedeutungstragenden Einheiten, deren Significans einen Obstruenten im Silbenreim enthält, derselbe stimmlos wird.

Ist eine solche Aussage Bestandteil einer synchronen Beschreibung, so besagt sie, daß man mit einer Repräsentation dieser Significantia rechnet, die die Inputkonfiguration enthält, und einer zweiten, welche die Outputkonfiguration enthält. Die erstere ist abstrakter und mit der bedeutungstragenden Einheit qua lexikalischer Einheit assoziiert; die letztere ist (phonetisch) konkreter und mit der phonetischen Gestalt der Einheit, so wie sie gesprochen und gehört wird, assoziiert. “Assoziiert” und nicht “identisch” deswegen, weil die Überführung einer lexikalischen in eine phonetische Repräsentation über mehrere Stufen gehen kann. Näheres s. Phonetik und Phonologie, Kap. 13. In diesem Sinne besagt die Beispielaussage, daß wenn ein Obstruent in der Rede in den Silbenreim gerät, er stimmlos gesprochen wird, wie z.B. in Rad [ʁa:tʰ•]. Findet er sich jedoch in anderen Kontexten, so geschieht ihm nichts, wie in Rades [ˈʁa:•dəs] (‘•’: Silbengrenze).

Ist eine solche Aussage Bestandteil einer diachronen Beschreibung, so besagt sie, daß es auf einer früheren Sprachstufe bedeutungstragende Einheiten qua lexikalische Einheiten gibt, deren Significantia die Inputkonfiguration enthalten, und daß es solche auf einer späteren Sprachstufe nicht mehr gibt, sondern daß die Significantia an ihrer Stelle die Outputkonfiguration enthalten. In diesem Sinne besagt die Beispielaussage, daß auf einer früheren Sprachstufe ein Significans im Silbenreim einen stimmhaften Obstruenten enthalten konnte, wie z.B. in mhd. weg [vɛg], daß aber dessen Gegenstück (“Fortsetzer”) auf der späteren Sprachstufe einen stimmlosen Obstruenten enthält, wie in nhd. weg [vɛk], das zwar mit <g> geschrieben wird, aber ein /k/ enthält.

Die gegebene Formulierung der Beschreibungsaussagen ist theoretisch noch einigermaßen neutral. Ihre synchrone Auffassung als Prozesse, die Laute verändern, ist allerdings nur eine mögliche Auffassung. Alternativ kann man z.B. annehmen, daß über lexikalischen Repräsentationen Beschränkungen walten, die die Möglichkeiten von deren phonetischer Realisierung einschränken. Sie filtern gleichsam den lexikalischen Input und lassen nur bestimmte Outputs durch. Von einer Sprachstufe zur nächsten können sich diese Beschränkungen ändern.

Die Auffassung der Veränderung als lautverändernder Prozeß ist die der traditionellen diachronen Linguistik, die in der generativen Phonologie formalisiert wurde. Die Auffassung als Anwendung einer bestimmten Menge von Beschränkungen (anstelle einer anderen Menge von Beschränkungen) ist die der Optimalitätstheorie. Die letztere ist abstrakter und setzt zur Anwendung in der Beschreibung von Einzelfällen eine Einsicht in den wechselseitigen Zusammenhang der Beschränkungen voraus. Die Prozeßphonologie dagegen ist eine einfache und ziemlich direkte Weise, auch einzelne Phänomene zu beschreiben. Sie wird deshalb im folgenden verwendet. Für das Format, in dem phonologische Prozesse notiert werden, s. anderswo.

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