Deutsche Namen ausländischer Städte

Ein spezifisch deutsches Tabu sind die deutschen Namen anderer Länder und ausländischer Städte.

Die meisten der politisch korrekten Bezeichnungen sind, was die orthographische Repräsentation angeht, an die Schreibung des Namens in der jeweiligen Landessprache angelehnt. Dessen Aussprache ist jedoch allermeist nicht bekannt und wird daher durch eine deutsche Aussprache ersetzt. Z.B. wird statt nl. ['nɛjməxə] (Nijmegen) ['najməçən] und statt lit. [vjiɫ'ɲus] (Vilnius) ['vɩlnjʊs] gesagt. Es dreht sich also nicht in erster Linie darum, daß der ausländische Name verwendet wird, sondern darum, daß der ursprüngliche deutsche Name nicht verwendet wird.

Daß es hier um gezielte Ausmerzung von Wörtern geht, zeigt folgendes Zitat:

Königsklopse Ein neuer Name für einen heiß geliebten Rundling. Weil Revanchismus nicht mehr gilt und keiner sich Königsberg einverleiben will - es sei denn als Klops. (Essen & Trinken April 2004:12)

Außer einem politisch Korrekten kann wohl niemand im Ernst auf den Gedanken kommen, ein Liebhaber von Königsberger Klopsen hege die Absicht, die gleichnamige Stadt zu annektieren.

Ich hatte im April 2008 einen Gastvortrag online angekündigt, dessen Sprecher Professor in Posen war. Es stellte mich eine linguistische Kollegin zur Rede mit den Worten “Heißt die Stadt nicht Poznan?” Ich entgegnete: “Ja, auf Polnisch.” Darauf sie: “Ja, aber die Stadt war doch nur wenige Jahre lang deutsch.”

Das ist, wie gesagt, ein typisch deutscher Fimmel. Die Franzosen nennen Aachen Aix-la-Chapelle; die Italiener nennen Mainz Magonza; die Spanier nennen Regensburg Ratisbona; die Engländer nennen Niedersachsen Lower Saxony. Die wollen bestimmt alle deutsche Landschaften annektieren, nicht wahr? Aber wir, die wir ja korrekt sind, müssen als nächstes unbedingt Moskau Moskva, Lissabon Lisboa und Athen Athini nennen.

“Mumbai, das frühere Bombay”

So hieß es am 15.04.09 in den Nachrichten des Mitteldeutschen Rundfunks, nachdem seit 1996 vielerorts verlautet war, der Name von Bombay habe sich in diesem Sinne geändert. In einem sonst wohlinformierten Internet-Artikel zum Thema (Christopher Beam, “Why did Bombay become Mumbai”, Slate, 01.12.2008) wurde sogar folgende Korrektur erzwungen:

The city's official name, regardless of language, is Mumbai.

Dies ist ein besonders klares Beispiel für politische Korrektheit, die nichts weiter als Kadavergehorsam gegenüber nationaler Willkür ist. Die Sachlage ist in diesem Falle wie folgt:

In diesem Sinne ist die zitierte Textkorrektur besonders interessant. Offensichtlich glauben manche Menschen, es gebe Bezeichnungen, z.B. Toponyme, die nicht zu irgendeiner Sprache gehören.

Birma, das frühere Myanmar, das frühere Birma

Birma trug seit der Neuzeit im Deutschen diesen Namen oder Burma. 1989 benannte die dortige Militärdiktatur – zweifellos eine honorige und maßgebliche Instanz für den deutschen Sprachgebrauch – den Staat in Myanmar (genauer: Pyidaungsu Thamada Myanmar Naing-Ngan-Daw) um. Selbstverständlich beeilten sich zahlreiche Deutsche, ihren Sprachgebrauch anzupassen. 2011 setzte in Birma eine – wenn auch sehr verhaltene – Demokratisierung ein. Jetzt wird das Land wieder Birma genannt, so 08.10.2011 in den deutschen Nachrichten. In der deutschen Wikipedia freilich wird man am selben Datum noch von Birma auf Myanmar umgeleitet. Vermutlich muß erst wieder eine burmesische Regierung dekretieren, daß ihr Staat Birma heißt.

Dies allerdings ist nicht sonderlich wahrscheinlich. Denn wenn man sich ernsthaft mit der Frage befaßt, wie die Leute selbst ihr Land nennen (rudimentäre Information dazu im erwähnten Wikipedia-Artikel), stellt man fest, daß es starke dialektale Schwankungen gibt und daß durchaus nicht klar ist, welches die Standardform für diesen Namen (so wie für manche anderen in Birma) wäre. Es bleibt die Frage, von welchem Interesse das eigentlich ist für das Problem, wie das Land auf Deutsch heißt.

Lehrreich ist in diesem Falle auch die deutsche Aussprache der betroffenen Wörter. Birma ebenso wie Burma sind beides Versuche, mit Mitteln der englischen Orthographie einen Ausdruck darzustellen, der im Burmesischen ungefähr (ohne Töne) [mjə̃maː] lautet. (Der Vokal der ersten Silbe ist also ein Schwa). So gelangt das Wort ins Deutsche. Wenn man als Empfänger eines solchen Wortes nichts als seine Schreibung hat (also evtl. nicht einmal weiß, daß man es aus dem Englischen hat [falls das für jemanden von Belang wäre]), nimmt man seine Zuflucht zu einer spelling pronunciation. Man spricht Burma also [ˈbuɐma] aus. Dasselbe Theater wiederholt sich bei der Aussprache des Wortes Myanmar, das seinerseits ein erneuter Versuch ist, den gleich gebliebenen Landesnamen in englischer Orthographie wiederzugeben. (Das r am Ende bezweckt, die Briten dazu zu bringen, in dieser Silbe überhaupt ein [aː] zu sprechen.) Da sagen die politisch Korrekten auf Deutsch dann [ˌmyanˈmaːʁ]. Mit dem Namen des Landes in der Sprache seiner Einwohner hat das selbstverständlich alles nichts zu tun. Woran man sieht, daß politische Korrektheit weder politisch noch korrekt ist.

Côte d'Ivoire, nicht Elfenbeinküste

Das Land erhielt seinen Namen, als es französische Kolonie war. Der Name wurde gewöhnlich in andere Sprachen übersetzt. So heißt das Land nicht nur auf Deutsch Elfenbeinküste, sondern auch auf Englisch Ivory Coast, auf Spanisch Costa de Marfil usw. Diese Bezeichnungen dürfen nach einem Dekret des Präsidenten des Landes von 1985 nicht mehr verwendet werden; im Lande selbst ist die Verwendung eines anderen Namens als Côte d'Ivoire bei Strafe verboten.

Die Idee, Sprecher einer Sprache könnten bestimmen, welche Wörter es in anderen Sprachen geben darf, ist an sich schon amüsant. Man hätte Herrn Houphouet Boigny (jenen Präsidenten) spaßeshalber mal fragen können, wie er denn z.B. die Länder bezeichnet, die in der jeweils zugehörigen Sprachgemeinschaft Deutschland und (Great) Britain genannt werden (er nannte sie Allemagne bzw. Angleterre). Im vorliegenden Falle wird die Sache noch dadurch besonders peinlich, daß der bevorzugte Name der Elfenbeinküste natürlich aus keiner der Sprachen stammt, die im Lande beheimatet sind, sondern aus einer fremden Sprache, die das Land in kolonialistischer Perspektive benannt hat.

Nachwort

Die folgende letzte Kostprobe fasst es schön zusammen:

Geographische Namen
Der internationale Ständige Ausschuss für geographische Namen empfiehlt, ausschließlich amtliche endonymische Namenformen für geographische Namen im Gebiet ausländischer Staaten zu verwenden. Dabei werden nur deutsche und französische Umlaute, aber keine anderen diakritischen Zeichen verwendet.
Beispiel für DE: Mumbai (Indien), Praha (Tschechische Republik), Moskva (Russische Föderation)

Wikipedia (23.07.2010) s.v. Exonym und Endonym

Da stellt sich die Frage, wofür dieser Ausschuß eigentlich kompetent ist. Immerhin hat er offenbar keine Sorge, sich lächerlich zu machen.

Damit keine Missverständnisse entstehen: Obiges beruht nicht auf irgendwelchen national(istisch)e Befindlichkeiten oder Ansprüchen. Nationalistisch ist es im Gegenteil, wenn jemand in Bombay oder Yamassoukro darauf besteht, dass alle Menschen sein Reich so nennen wie er. Die Basis der obigen Kritik ist vielmehr ein theoretisches Prinzip: Wir halten es mit Recht für selbstverständlich, dass die Bezeichnungen von Begriffen wie ‘Stadt’ und ‘Land’ in der einen Sprache city bzw. country, in der anderen jedoch cité bzw. pays lauten. Genau das Gleiche gilt aber für Bezeichnungen von individuellen Objekten und Personen. Der Mond heißt in der einen Sprache moon, in der anderen jedoch lune. Und dieses ist unabhängig von der Frage, ob der bezeichnete Gegenstand sich auf dem Gebiet einer bestimmten Sprachgemeinschaft befindet. Die Donau tut das nicht und heißt auf Ungarisch Duna, auf Bulgarisch jedoch Dunav und auf Englisch Danube. Venedig liegt auf italienischem Sprachgebiet und heißt auf Italienisch Venezia, auf Englisch Venice, auf Portugiesisch Veneza und auf Deutsch noch anders. Die zitierte Empfehlung des Ständigen Ausschusses ist sowohl theoretisch bodenlos als auch realitätsfremd. Sie ist nichts als ein durchsichtiger Versuch, Menschen in ihrem Sprachgebrauch zu gängeln.


1 Mehrere Quellen einschließlich Wikipedia s.v. Mumbai (15.04.2009) geben an, das Wort Bombay basiere auf Bom Bahia, was auf portugiesisch “gute Bucht” bedeute. Das kann nach den Regeln der portugiesischen Sprache nicht so sein.