Geschichte der Alphabetschrift

Ein Alphabet ist eine geordnete Menge von Buchstaben. Ein Buchstabe ist ein Schriftzeichen, das für einen einzelnen Sprachlaut steht (im Gegensatz zu einem Silbenzeichen). (Ausnahmsweise kann ein Buchstabe eine Folge von Sprachlauten bezeichnen, wie <x> = /ks/; oder er kann Bestandteil einer Buchstabenkombination sein, die einen Sprachlaut bezeichnet, wie in dt. <sch> = /ʃ/.) Eine alphabetische Schrift ist eine (phonographische) Schrift, die auf einem Alphabet basiert, im Gegensatz zu einer Silbenschrift.

Das folgende Schaubild zeigt, wie die alphabetischen Schriften auseinander entstanden sind.

Die alphabetische Schrift wurde zwischen -1.500 und -1.200 von den Phöniziern aus der ägyptischen hieratischen Schrift entwickelt, und zwar zunächst als reine Konsonantenschrift. Von -900 an wurde sie von den Aramäern weiterentwickelt. Die Moabiter und palestinischen Phönizier fügten einige Vokalbuchstaben hinzu. Spätestens um -800 übernahmen die Griechen das Alphabet von den Phöniziern. Sie fügten Buchstaben für alle Vokale hinzu. Alle modernen europäischen Alphabete, darunter das lateinische und russsische, gehen letztlich auf das griechische zurück.

Altgriechisches Alphabet
MajuskelMinuskelNamePhonem
Ααalphaa
Ββbetab
Γγgammag
Δδdeltad
Εεepsilonɛ
Ζζzetaʣ
Ηηetaɛ:
Θθtheta
Ιιiotai
Κκkappak
Λλlambdal
Μμmym
Ννnyn
Ξξxiks
Οοomikronɔ
Ππpip
Ρρrhor
Σς/σsigmas
Ττtaut
Υυypsilonu
Φφphi
Χχchi
Ψψpsips
Ωωomegaɔ:

Systematik der Alphabetschrift

Hinsichtlich ihres Bezugs zur Phonologie lassen sich die alphabetischen Schriften wie folgt einteilen:

Lauttreue von Alphabetschriften
Typein Buchstabe repräsentiertBeispiel
Phonetische Schrifteinen LautIPA
Phonemische Schriftein PhonemFinnisch
Morphophonemische Schriftein MorphophonemDeutsch, Englisch

Unter den historisch gewachsenen Schriftsystemen gibt es keine phonetische Schrift.1 Die einzige funktionierende phonetische Schrift ist das IPA. Es dient aber nicht der Übermittlung von Nachrichten, sondern der akkuraten Repräsentation von etwas Gesprochenem. Eine phonetische Schrift als Gebrauchsorthographie kann es nicht geben. Die immer wieder gehörte und gelesene Forderung, das optimale Schriftsystem sei das, wo “man so schreibt, wie man spricht”, ist daher Laienlinguistik.

Alphabetische Systeme, die dem phonemischen Prinzip relativ nahe kommen, sind solche, die entweder die phonologischen Alternationen getreulich repräsentieren oder wo die repräsentierte Phonologie kaum Alternationen aufweist. Dazu gehören die finnische und, mit Abstrichen, die spanische Orthographie. Ein solches System setzt einerseits eine relativ einfache Phonologie und andererseits stete Orthographiereform voraus.

Alphabetische Systeme, die lautliche Alternationen ignorieren und jedes Morphem immer gleich repräsentieren, befolgen das morphophonemische Prinzip. Im Deutschen wird z.B. der Nominativ von Rades Rad geschrieben, obwohl die Form kein /d/ enthält. Das geschieht, damit das Schriftzeichen direkter das Morphem identifiziert. Im Extremfall halten morphophonemische Schriften sogar Homophone durch Heterographen auseinander, wie dt. Verse vs. Ferse vs. Färse (phonologisch alles /'fɛrzə/.

Weiterentwicklung des Alphabets

Buchstabenschriften unterscheiden sich in dem Grade, in dem sie die Einzelheiten der lautlichen Form wiedergeben. Die Entwicklung geht hier im allgemeinen nicht hin zu größerer Genauigkeit, und zwar i.w. aus zwei Gründen:

Das Beispiel der romanischen Sprachen zeigt, daß nur diejenigen wie das Spanische, die in jüngerer Zeit eine Orthographiereform durchgeführt haben, eine einfache Entsprechung von Laut und Schrift aufweisen, während andere, notabene das Französische, im Laufe der Jahrhunderte eine sehr unsystematische Orthographie bekommen haben.

Aus verschiedenen Gründen sind Schriftsysteme konservativer als Lautsysteme. Eine Alphabetschrift macht nicht von allein den Lautwandel mit. Z.B. hat der Umlaut von dt. /au/ ehemals regelmäßig [ɛu] gelautet und wurde daher <eu> bzw. <äu> geschrieben. Schon seit mehreren Hundert Jahren lautet er [ɔy]; aber die Schrift nimmt davon bis heute keine Notiz. Als Folge davon entfernt sich eine Alphabetschrift im Laufe der Zeit immer mehr von ihrer ursprünglichen Funktion, das Significans zu repräsentieren. Sie wird von allein morphophonemisch.

Historisch gewachsene alphabetische Schriften entfernen sich oft sehr weit nicht nur vom phonemischen, sondern sogar vom morphophonemischen Prinzip; d.h. sie werden, unter phonologischem Gesichtspunkt, hochgradig unregelmäßig. Extreme Beispiele sind die englische und die französische Orthographie. Im Falle der letzteren gab es in der Vergangenheit etymologisch gemeinte Normierungen (die insofern im weitesten Sinne morphophonemisch hätten sein können), wo aber die Etymologien nicht stimmten. Gelegentlich führen (Möchte-Gern-)Linguisten etymologische (statt phonologischer) Schreibung ein; und wenn sie sich in der Etymologie täuschen, führen sie manchmal auch pseudo-etymologische Schreibung ein.

Etymologische Schreibung eines Wortes ist eine solche Schreibung, welche nicht durch den zeitgenössischen, sondern durch einen früheren Lautstand motiviert ist.

Etymologische Schreibung im Mittelenglischen
AusspracheSchreibungBedeutung
dɛtədebtSchuld
dutədoubtZweifel
sutilsubtlesubtil
i:ləisleInsel

Pseudo-etymologische Schreibung eines Wortes ist eine solche Schreibung, welche als etymologische intendiert ist, jedoch der tatsächlichen Etymologie des Worts nicht entspricht.

Pseudo-etymologische Schreibung im Mittelenglischen
Ausspracheetymolog. QuelleSchreibungBedeutung
i:landaltengl. iglondislandInsel
ɛləfrz. aileaisleFlügel
(Pseudo-)Etymologische Schreibung im Französischen
Altfranz. Mittelfranz. Latein
doit doigt digitus
set sept septem
pois pensum
poids pondus

1 Laien charakterisieren alphabetische Schriften nicht selten als phonetische Schriften; aber sie meinen phonographische Schriften.