Der Zweck eines Ausdrucksmediums ist es, wahrnehmbare Hinweise auf das Gemeinte zu geben. Die gesprochene Sprache benutzt das akustische Medium zum Ausdruck sprachlicher Bedeutungen, während die Schrift das optische Medium benutzt. Alle natürlichen Sprachen sind gesprochene Sprachen. Nur ein Bruchteil davon wird außerdem auch geschrieben. Auch in der Entwicklung der menschlichen Sprache wurde die Schrift erst erfunden, als schon seit Jahrzehntausenden gesprochen worden war und als sich schon Tausende verschiedener Sprachen entwickelt hatten (s. Grundsätzliches zum Verhältnis von Laut und Schrift).

Schriftsysteme lassen sich nach verschiedenen Kriterien systematisieren. Die folgenden beiden sind fundamental:

  1. Nach dem Kriterium der Sprachbezogenheit ist das Schriftsystem
    1. entweder ein eigenständiges Zeichensystem ohne Bezug auf eine bestimmte Sprache
    2. oder es repräsentiert die Sprachzeichen einer bestimmten Sprache.
  2. Nach dem Kriterium der semiotischen Funktion bedeuten die Schriftzeichen
    1. entweder unmittelbar das Gemeinte bzw. das Significatum der repräsentierten Sprachzeichen
    2. oder sie repräsentieren das Significans der gemeinten Sprachzeichen.

Wie man sieht, setzt die Einteilung #2 Sprachzeichen voraus. Ein nicht sprachgebundenes Schriftsystem kann eo ipso nur unmittelbar das Gemeinte, nicht jedoch die Significantia von Sprachzeichen repräsentieren. Daher kreuzklassifizieren die beiden binären Kriterien nicht miteinander, sondern ergeben folgende hierarchische Klassifikation (von links nach rechts):

Klassifikation der Schriftsysteme
bezogen auf Spracherepräsentiert Significans System
nein(nein)Piktographie, Ideographie
janeinLogographie
jaPhonographie

Diese Klassifikation ist im einzelnen wie folgt definiert:

  1. Das Schriftsystem ist ein eigenständiges Zeichensystem ohne Bezug auf eine Sprache. Die Schriftzeichen sind also mit eigenen Bedeutungen verbunden. Ein Schriftzeichen, das ohne Rückgriff auf eine Sprache unmittelbar das Gemeinte vermittelt, ist auf zwei Weisen möglich:
    1. Die Schriftzeichen sind international vereinbart. Ein Schriftzeichen, das unmittelbar für das Gemeinte steht, ist ein Ideogramm; eine solche Schrift ist eine Ideographie (“Ideenschrift”). Das trifft z.B. auf die arabischen Ziffern zu.
    2. Die Schriftzeichen funktionieren aufgrund eines universalen semiotischen Prinzips. Hier kommt nur die Ikonizität in Betracht. Ein solches Schriftzeichen ist also ein Piktogramm (Bildzeichen); und die Schrift ist eine Piktographie (Bilderschrift).
  2. Das Schriftsystem hängt von einer bestimmten Sprache ab. Die Schriftzeichen sind also mit deren Sprachzeichen verbunden.
    1. Ein Schriftzeichen gibt unmittelbar eine sprachliche Bedeutung (ein Significatum), meistens die Bedeutung eines lexikalischen Stamms (eines Lexems), wieder. Ein Schriftzeichen, das direkt für die Bedeutung eines Worts steht, ist ein Logogramm (Begriffszeichen), und die Schrift ist eine Logographie.1
    2. Ein Schriftzeichen gibt den sprachlichen Ausdruck (das Significans) wieder, der dann seinerseits (unabhängig von der Schrift) mit einem Significatum gepaart ist, so daß das Gemeinte über diesen Umweg vermittelt wird. Ein Schriftzeichen, das für Sprachlaute steht, ist ein Phonogramm (Silbenzeichen oder Buchstabe), und die Schrift ist eine Phonographie, nämlich entweder eine Silbenschrift (Syllabographie) oder eine alphabetische Schrift (Buchstabenschrift).2

Die der Klassifikation zugrundeliegenden Kriterien sind nicht ganz trennscharf. Daher gibt es zwischen den Schriftsystemen mannigfache Übergange und Mischformen. Frühe Formen der Schrift sind z.B. oft Mischungen aus Piktographie und Ideographie. Das gilt übrigens auch für ein paar Zeichensysteme, die keine Schriften sind, z.B. Verkehrszeichen.

Der Unterschied zwischen den beiden Subtypen von Typ 2 ist ein kategorialer. Das folgende Schaubild verdeutlicht das Funktionieren dieser beiden Schriftsysteme.

Logographie und Phonographie
System
Komponente   ╲
LautsprachePhonographieLogographie
Bedeutung ● ● ● ● ● ←━┓
Laut /fynf/ ←━┓
Schriftzeichen fünf 5

Allerdings geht in der Geschichte mehrerer Schriften die Logographie schrittweise in die Phonographie über dadurch, daß ein bestehendes Logogramm als Phonogramm umgedeutet wird (s. Entwicklung der Schrift). Infolge der Umdeutung enthält das Schriftsystem sowohl Logogramme als auch Phonogramme, und einige Zeichen haben auch beide Funktionen, können also ein Lexem oder eine lautliche Einheit repräsentieren. Ein vergleichbares Beispiel aus einer modernen Schrift wäre im griechischen Alphabet der Buchstabe π: gelesen als Logogramm, bedeutet er “3,14159…”; gelesen als Phonogramm bedeutet er /p/. Eine solche Mischschrift heißt Logophonographie. Da die meisten betroffenen Phonographien Silbenschriften sind, nennt man solche mehrdeutige Schreibung und ihre Zeichen auch logosyllabisch.

Ein phonographisches System bietet gegenüber einem logographischen den Vorteil eines kleinen Zeicheninventars und somit der verhältnismäßig leichten Erlernung. Es bietet den Nachteil, daß es seine Funktion, nämlich auf den Sinn der Nachricht hinzuweisen, nur indirekt erfüllt, indem es nämlich stattdessen auf die Significantia eines anderen Zeichensystems hinweist und somit diesem die Aufgabe überläßt, auf die Bedeutungen hinzuweisen. Das Lesen und Schreiben geht deshalb langsamer vonstatten.

Website über Schriften


1 Wörtlich übersetzt ist eine Logographie eine Begriffsschrift; ein Logogramm würde also einen Begriff repräsentieren. Aber das ist eine unpräzise Verwendung des Terminus ‘Begriff’. Die Schriftzeichen historischer Logographien können z.B. auch für Eigennamen stehen, und sie können strukturelle Eigenschaften der repräsentierten Sprachzeichen reflektieren. Insoweit entsprechen sie also nicht sprachunabhängigen Begriffen.

2 Phonographien werden nicht selten auch phonetische Schriften genannt. Aber das ist Blödsinn; es gibt (bis jetzt) keine phonetischen Schriften außer dem IPA.