Präsupposition vs. Assertion

Wenn man aus heiterem Himmel anfängt, eine Geschichte zu erzählen, kann man nichts voraussetzen; alles, wovon die Rede sein soll, muß man explizit einführen. In Märchen dient dazu die bekannte Formel “Es war einmal ein X.” Syntaktisch ist dies eine Art Existenzsatz, der nicht mehr tut als X ins Redeuniversum einzuführen und die Zeit seiner Existenz in eine unbestimmte Vergangenheit zu verlegen. Die folgenden Sätze können dann z.B. mit der (X) ... weitergehen, also die Existenz von X voraussetzen. Abgesehen von dem Einleitungssatz knüpfen alle Sätze eines zusammenhängenden Textes oder eines Dialogs an Referenten und Verhältnisse an, die sie voraussetzen. Wenn z.B. der erste Satz B1.a lautet,

B1.a.Es war einmal ein Müller; der hatte eine Tochter.
b.Die Müllerstocher war die beste Linguistikstudentin ihres Jahrgangs.

dann kann irgendein späterer Satz, z.B. B1.b, den Ausdruck die Müllerstochter enthalten. Dieser Ausdruck identifiziert nicht nur einen im Redeuniversum bereits bestehenden Referenten, sondern er sagt auch, daß der Referent weiblich und sein Vater Müller ist. Im Gegensatz zu B1.a behauptet jedoch der Ausdruck die Müllerstochter nicht, daß im Redeuniversum ein Müller und seine Tochter existieren. Auf diesen Umstand kommt es dem Sprecher, wenn er B1.b äußert, nicht an; er setzt ihn vielmehr voraus.

Die Bedeutung eines (im Sinne der Informationsstruktur spezifizierten, also kontextualisierten) Satzes wird repräsentiert als eine Menge elementarer Propositionen. Diese zerfällt in zwei Teilmengen, die Präsuppositionen und Assertion heißen.

In B1.b z.B. bestehen eine Reihe von Präsuppositionen, darunter die folgenden:

  1. Es existiert ein x1, welches weiblich ist.
  2. Es existiert ein x2, welches Müller ist.
  3. x2 ist der Vater von x1.
  4. x1 studiert Linguistik.
  5. Es existiert mindestens ein xi≠1, welches weiblich ist, Linguistik studiert und dies im selben Jahrgang wie x1 tut.
  6. Es existiert ein skalarer Parameter Q der Qualität, die der Proposition ‘x studiert Linguistik’ als Attribut zukommt.

Die Assertion von B1.b kann man wie folgt wiedergeben:

Dabei sind mit den Variablen und Konstanten in der Assertion eben dieselben wie in den Präsuppositionen gemeint.

Im Gegensatz zu B1.b gehören sämtliche1 Propositionen, die die Bedeutung des ersten Teilsatzes von B1.a ausmachen, zu dessen Assertion; d.h. dieser Satz ist präsuppositionslos.

In einem selbständigen Aussagesatz ist die Assertion das, was der Sprecher mit diesem Satz aussagen will.2 Die Assertion setzt der Sprecher dem Widerspruch des Hörers aus. Z.B. kann der Hörer von B1.b B2.a antworten. Damit hat er genau der Assertion widersprochen.

B2.a.Nein, Rumpelstilzchens Tochter war besser.
b.Nein.

Er kann auch einfach B2.b antworten. Auch damit hat er die Assertion verneint, d.h. er hat impliziert, daß es ein xi der relevanten Art gibt.

Die Gültigkeit der Präsuppositionen wird durch einen Satz nicht zur Debatte gestellt. Der Sprecher vereinnahmt den Hörer sozusagen für sie. Teilt der Hörer sie nicht, so ist der Widerspruch aufwendiger. Ist er z.B. der Auffassung, daß die Präsupposition #4 nicht zutrifft, so kann er sie nicht durch bloße Äußerung von B2.b zurückweisen, sondern er muß etwas wie B3 sagen.

B3.Die Müllerstochter hat überhaupt nicht Linguistik studiert.

Noch eingängiger illustriert denselben Punkt das berüchtigte Beispiel B4.a bzw. die akademisch überhöhte Fassung B4.b.

B4.a.When did you stop beating your wife?
b.Gestatten Sie eine Frage, Herr Kollege: wann haben Sie eigentlich aufgehört, Ihre Frau zu verprügeln?

Wenn der Hörer diese Frage im Sinne des Fragers beantwortet, z.B. mit nie, dann hat er dessen Präsuppositionen akzeptiert, in diesem Falle also die Proposition “Hörer verprügelt seine Frau bzw. hat seine Frau verprügelt”. Akzeptiert der Hörer die Präsuppositionen des Fragers nicht, so muß er die Antwort auf die Frage verweigern. Das Beispiel zeigt nebenbei, daß Sätze aller Satztypen, also auch Fragesätze, Präsuppositionen haben können.

Arten von Präsuppositionen

Präsuppositionen können an sprachlichen Ausdrücken verschiedener Art hängen und entsprechend verschiedene Struktur haben. Die Arten von grammatischen und lexikalischen Konstruktionen, welche Präsuppositionen auslösen, und die Arten von Präsuppositionen sind noch nicht systematisiert worden. Daher seien hier lediglich einige häufig vorkommende angeführt. Die Konstruktionen, welche Präsuppositionen auslösen – das sind im folgenden definite Kennzeichnungen, faktive Verben mit ihren Komplementsätzen, Phasenprädikate, Spaltsätze und Skopusoperatoren – werden auch Präsuppositionsauslöser genannt.

Existenzpräsupposition

Ein definites Nominalsyntagma (B5) inkl. Eigenname (B6) präsupponiert, daß sich sein Referent im Redeuniversum befindet. Dies kann man illustrieren durch die Beispiele, durch welche G. Frege (B6) und B. Russell (B5) auf die Präsuppositionsproblematik aufmerksam gemacht haben:

B5.The present king of France is bald.
B6.Kepler starb im Elend.

So präsupponiert B5, daß Frankreich derzeit einen König hat; und B6 präsupponiert, daß es einen Menschen namens Kepler gibt bzw. gab. In beiden Fällen besagt die Existenzpräsupposition “es existiert ein x, auf welches der referentielle Ausdruck zutrifft,” d.h. welches derzeit König von Frankreich ist bzw. welches Kepler heißt. Dies ist eben gerade die Bedeutung der definiten Determination, welche definite Nominalsyntagmen mit Eigennamen gemeinsam haben.

Die Existenzpräsupposition bezieht sich selbstverständlich – wie alles in der referentiellen Semantik – auf das Redeuniversum und nicht etwa auf die “reale” Welt. So ist B6 sinnvoll nicht nur dann, wenn es wirklich einen Menschen namens Kepler gab, sondern auch in jeglichem Text, in dem eine Figur dieses Namens eingeführt ist. Und andererseits ist B5 nicht notwendigerweise sinnlos, weil Frankreich gar keinen König hat. Wird der Satz z.B. im Jahre 1705 geäußert, so ist er völlig unproblematisch und ist, je nachdem, was sich unter Ludwig XIV.' Perücke befindet, wahr oder falsch.

Faktivität

Der Existenzpräsupposition eng verwandt ist die Faktizität, die bestimmte Verben für einen von ihnen abhängigen Komplementsatz implizieren. Man vergleiche dazu die Komplementsätze in B7 mit denen in B8.

B7.a.Erna behauptet, Erwin geheiratet zu haben.
b.Erna versichert, daß sie Erwin geheiratet hat.
c.Erna setzt voraus, daß Erwin verheiratet ist.
B8.a.Erna bedauert, Erwin geheiratet zu haben.
b.Erna leugnet, daß sie Erwin geheiratet hat.
c.Erna vergißt, daß Erwin verheiratet ist.

Die Faktizität der Komplementsätze von B8 wird präsupponiert. Der Sprecher behauptet nicht, daß Erna Erwin geheiratet hat bzw. daß letzterer verheiratet ist, sondern setzt dies vielmehr voraus. Wenn diese Propositionen nicht zutreffen, sind die Sätze sinnlos, und es ist entsprechend nicht klar, was der Sprecher mit ihrer Äußerung bezwecken kann. In B7 dagegen sind die Propositionen der Komplementsätze Bestandteil der Assertion. Treffen sie nicht zu, so kann das bedeuten, daß der Sprecher sich von Ernas Auffassungen absetzen will.

Die Kriterien, die diese Analyse rechtfertigen, werden unten besprochen. Der Unterschied hängt offensichtlich nicht an den Komplementsätzen selbst, die ja in B7 und B8 jeweils dieselben sind, sondern an den sie regierenden Verben. Die übergeordneten Verben in B8 sind faktiv: sie implizieren, daß die Proposition ihres Komplements zutrifft. Die übergeordneten Verben in B7 sind nicht faktiv; mit ihnen ist keine derartige Präsupposition verbunden.

Die Faktizitätspräsupposition ist eine Art von Existenzpräsupposition. Referenten existieren im Redeuniversum. Wenn eine Proposition im Redeuniversum existiert, sagen wir, daß sie der Fall ist, d.h. zutrifft.

Phasenprädikate

Phasenverben sind Verben wie anfangen, weitermachen, aufhören (vgl. auch den Abschnitt über Personenprominenz). Einige von ihnen lösen die Präsupposition aus, daß die von ihrem verbalen Komplement bezeichnete Situation (auch) schon vor dem Bezugszeitpunkt stattgefunden hat.

B9.Erna fährt fort, Erwin zu ignorieren.

So kann die Bedeutung von B9 wie folgt analysiert werden:

Spaltsätze

Ein Spaltsatz präsupponiert alles, was in seinem extrafokalen Satz kodiert ist.
B10.Es ist Erwin, den Erna geheiratet hat.

So präsupponiert B10, daß Erna jemanden geheiratet hat. Diese Eigenschaft von Spaltsätzen entspricht genau ihrer Funktion: man bildet ja einen Spaltsatz, um deutlich die Assertion zu fokussieren und alles andere, also die Präsuppositionen, in den Hintergrund zu rücken.

Skopusoperatoren

Skopusoperatoren sind Partikeln wie auch, sogar, noch, schon, die eine Konstituente des Satzes im Skopus haben.

B11.Auch Erna hat Erwin geheiratet.

Die Bedeutung von B11 läßt sich wie folgt in Präsuppositionen und Assertion zerlegen:

Übrigens ist die Konstituente, die im Skopus solcher Operatoren steht, gleichzeitig der Fokusausdruck dieser Sätze. M.a.W., das Prinzip ist hier dasselbe wie bei allen Fokuskonstruktionen einschließlich insbesondere der zuvor besprochenen Spaltsätze: der Fokusausdruck ist die zentrale Konstituente der Assertion; der Restsatz kodiert die Präsuppositionen.

Akkommodation von Präsuppositionen

Dadurch, daß der Sprecher eine Proposition als Präsupposition kodiert, gibt er zu verstehen, daß er sie als im Redeuniversum etabliert betrachtet. Selbstverständlich ist er frei, das zu tun, auch wenn die Proposition in Wahrheit bisher nicht im Redeuniversum ist. Er kann also dem Hörer eine Proposition “unterjubeln”, indem er sie als Präsupposition kodiert. Ein entsprechendes Beispiel ist B4 oben. In solchen Fällen wird der Hörer die Präsupposition nicht akzeptieren und den Sprecher unterbrechen. Wenn die Proposition jedoch nicht kontrovers ist, übernimmt der Hörer die Einschätzung des Sprechers. D.h. in solchen Fällen, wo der Hörer die Proposition bislang tatsächlich nicht in seinem Redeuniversum hatte, paßt er es entsprechend an. Wir betrachten noch einmal das Beispiel aus dem Abschnitt über das Redeuniversum:

B12.Ich habe mich gestern auf der Autobahnraststätte mit einem Fernfahrer unterhalten.

Es kann sein, daß der Hörer zwar darüber Bescheid weiß, daß der Sprecher gestern eine längere Autofahrt unternommen hat, daß sich die Raststätte jedoch bisher nicht im Redeuniversum befindet. Die definite Determination in der Autobahnraststätte setzt dies jedoch, wie oben gesagt, voraus. Falls es also der Hörer bisher nicht wußte, so erfährt er durch B12, daß eine Autobahnraststätte im Redeuniversum ist. Falls ihn dies überrascht und im Verständnis behindert, wird er vielleicht den Sprecher unterbrechen und sagen. “Wieso? Ich wußte gar nicht, daß du auf einer Raststätte warst!” Meist wird jedoch die Sache nicht so brisant sein. Dann akkommodiert der Hörer diese Präsupposition (Lambrecht 1994:67).

Äußerungssituationen, wo eine Präsupposition q einer Äußerung p tatsächlich bisher nicht im Redeuniversum war, dienen also, methodisch betrachtet, nicht dazu, die Hypothese zu falsifizieren, daß q eine Präsupposition von p ist. Vielmehr ist q in solchen Fällen eben zu akkommodieren. Und wenn das nicht gelingt, ist der Kommunikationsversuch des Sprechers mißlungen.

Logik der Präsupposition

Status von Präsuppositionen

Präsuppositionen sind unter bestimmten Umständen annullierbar. Z.B. präsupponiert B8.a normalerweise p = “Erna hat Erwin geheiratet”. Angenommen jedoch folgende Gesprächssituation (nach Levinson 1983:25f):

In dieser Äußerung von B präsupponiert B8.a p nicht. Allerdings ist das Argument nicht ganz sauber, denn Bs letzte Äußerung ist eigentlich metasprachlicher Natur; sie bedeutet etwas wie “Und folglich konnte man auch nicht angemessenerweise sagen, daß Erna bedauert, Erwin geheiratet zu haben.” Das Sprachsystem wird alle Tage geändert, und zwar in gewöhnlichen Sprechsituationen. Metasprachliche Operationen sind ein besonders direktes Mittel zu diesem Zweck. Solche Vorgänge lassen sich jedoch nicht als Argument gebrauchen gegen die Feststellung, daß bis zu einer Sprechsituation, die Regel r außer Kraft setzt, r gilt bzw. gegolten hat.

Wenn man Präsuppositionen als eine Eigenschaft von Äußerungen betrachtet (s. Satz vs. Äußerung), heißen sie auch pragmatische Präsuppositionen oder Sprecherpräsuppositionen. Wenn man Präsuppositionen dagegen als eine Eigenschaft von Sätzen i.S.v. isolierten Aussagesätzen betrachtet, werden sie einer aussagenlogischen Analyse zugänglich. Insofern sie Eigenschaften von Sätzen sind, heißen sie auch logische Präsuppositionen. Dieser Gesichtspunkt wird im folgenden eingenommen.

Negationskonstanz

Die Assertion einer Äußerung ist der Teil ihrer Bedeutung, den der Sprecher explizit der Nichtakzeptanz des Hörers aussetzt. Die Präsuppositionen dagegen betrachtet er als gültig, egal ob die Assertion akzeptiert wird oder nicht. Auf den der Äußerung zugrundeliegenden Satz angewendet, besagt dies, daß die Negation eines Satzes nur seine Assertion betrifft, während die Präsuppositionen unbetroffen bleiben. Man sagt auch, die Präsuppositionen eines Satzes bleiben unter Negation konstant.

Wir sahen das Prinzip schon anhand des Verhältnisses von B2 zu B1.b. Wenn man B1.b verneint, also in die Müllerstochter war nicht die beste Linguistikstudentin ihres Jahrgangs transformiert, dann gelten sämtliche Präsuppositionen #1 – #6 oben unverändert. Man hat lediglich die Assertion verneint, also gesagt, daß ein xi der relevanten Art existiert.

Hieraus resultiert die logische Definition der Präsupposition:

q ist eine Präsupposition von p gdw (p → q) & (¬p → q).

Um in einem Satz die Präsuppositionen von der Assertion zu unterscheiden, kann man folglich den Negationstest anwenden: Man identifiziert die Präsuppositionen eines Satzes p, indem man feststellt, welche Sätze er impliziert. Dann verneint man p und stellt abermals fest, welche Sätze diese verneinte Version impliziert. Die Schnittmenge der beiden so festgestellten Mengen von Sätzen sind die Präsuppositionen von p.

Angewandt auf B8.c, funktioniert das wie folgt:

Um den Test korrekt auf einen beliebigen Satz p anzuwenden, muß man sicherstellen, daß man genau p und nicht etwa einen der Teile von p verneint. Würde man z.B. B8.c durch Erna vergißt, daß Erwin nicht verheiratet ist verneinen, wäre das Resultat natürlich ein anderes. Bei gewissen komplexen Sätzen ist es syntaktisch nicht einfach, durch bloßes Einfügen von nicht den Gesamtsatz zu negieren. Dann geht man durch die Umschreibung mit es ist nicht der Fall, daß p sicher.

Aussagenlogische Analyse der Präsuppositionen

Eine aussagenlogische Analyse des Definiens der o.a. Definition:

P1.(p → q) & (¬p → q)

ergibt, daß P1 manchmal wahr und manchmal falsch ist, was nicht weiterhilft. Eingangs war jedoch gesagt worden, daß p für einen Satz steht, dessen Bedeutung durch eine Menge von Propositionen repräsentiert ist, wovon eine Teilmenge die Präsuppositionen und eine Teilmenge die Assertion sind. Wenn wir der Einfachheit halber annehmen, daß diese Propositionen konjunktiv verbunden sind, läßt sich die Satzbedeutung wie in P2 darstellen:

P2.q1 & q2 & ... qn & r

Dabei seien qi die Präsuppositionen und r die Assertion. Die komplexe Proposition P2 setzt man nun in P1 für p ein. Dazu muß man noch zwei Dinge tun: Die Variable q aus P1 nennt man qi. Zweitens nutzt man die Tatsache, daß eine konjunktiv komplexe Proposition wie P2 falsch wird, wenn auch nur eine einzige der beteiligten einfachen Propositionen falsch ist, und appliziert die Negation lediglich auf r, was ja für die Assertion steht. Es ergibt sich P3:

P3.((q1 & q2 & ... qn & r) → qi) & ((q1 & q2 & ... qn & ¬r) → qi)

Hier ist gemeint, daß qi eine der Propositionen q1 ... qn ist.

Nun sind P4 und P5 bekannte logische Tautologien, also immer wahr.

P4.(q & r) → q
P5.(q & ¬r) → q

Folglich ist auch P3 immer wahr. Dies besagt, daß die Gesamtmenge der konjunktiv verbundenen Propositionen jede einzelne Proposition impliziert und daß sie, wenn r verneint ist, immer noch jede einzelne der anderen Propositionen impliziert. M.a.W., die Konstanz der Präsuppositionen unter Negation erklärt sich von selbst, wenn man annimmt, daß die Negation in der Tat nur die Assertion (hier r) betrifft.

Die aussagenlogische Analyse der Negationskonstanz in Form von P3 erklärt also, wieso ein Satz bei Negation seiner Assertion immer noch seine Präsuppositionen impliziert. Die Ersetzung von ¬p → q von P1 durch (q1 & q2 & ... qn & ¬r) → qi ist (auch bei entsprechender Anpassung der Variablen) freilich keine aussagenlogisch zulässige Operation, denn die beiden Ausdrücke sind nicht logisch äquivalent. M.a.W., die Aussagenlogik erklärt uns nicht, wieso die Negation eines – semantisch komplexen – Satzes de facto auf die Negation seiner Assertion hinausläuft, sondern gestattet uns lediglich, diesen Sachverhalt formal darzustellen.

Im dekontextualisierten einfachen Satz wie B5 und B6 liegt die Assertion in der Zuschreibung des Prädikats an das Subjekt. Verneint man einen solchen Satz als ganzen, also durch die Umschreibung mit es ist nicht der Fall, daß ..., so verneint man die Prädikation; d.h. man sagt, daß das Prädikat nicht auf das Subjekt zutrifft. Diese Satznegation kann man in vielen Sprachen auch bewirken, indem man den Negator – deutsch nicht – an eine durch die Syntax definierte Position im Satz setzt. Im deutschen selbständigen Aussagesatz ist das die Position hinter dem finiten Verb und einem Objekt, falls vorhanden, also z.B. Kepler starb nicht im Elend oder Sie hat Erwin nicht geheiratet. Auch diese Satznegation verneint das Zutreffen des Prädikats auf das Subjekt und betrifft daher genau die Assertion. So erklärt sich die Konstanz der Präsuppositionen bei Satznegation.

Das gilt aber eben nur für die Satznegation eines dekontextualisierten Satzes, der nicht für eine besondere Informationsstruktur spezifiziert ist. Ist der Satz kontextualisiert und hat er eine besondere Informationsstruktur, so ist die Assertion nicht notwendigerweise durch die Prädikation gegeben; und entsprechend gestaltet sich auch der Negationstest schwieriger.


1 So viele Propositionen sind das wiederum auch nicht. Es ist auch ein Prinzip der Informationsstruktur, daß der Sprecher den Hörer nicht mit zu viel Neuem gleichzeitig überfallen kann. S. das Prinzip der Trennung von Referenz und Rolle.

2 In einem Aufforderungssatz ist die Assertion das, was der Sprecher will, daß der Hörer tue. In einem Fragesatz ist die Assertion “ich wähle nicht zwischen den disjunktiven Propositionen”.