Grundbegriffe

Aspektualität ist die kognitive Domäne, welche die zeitliche Struktur von Situationen betrifft. Diese Struktur umfaßt

  1. die Relevanz von Zeit für eine Situation überhaupt; ist eine Situation zeitlos, so ist es eine Klasseninklusion;
  2. die zeitliche Befristung einer (zeitgebundenen) Situation; besteht sie unbefristet, ist es eine Eigenschaft;
  3. die Veränderlichkeit (Dynamizität) einer (zeitlich befristeten) Situation; besteht sie ohne Veränderung, ist es ein Zustand;
  4. die zeitliche Begrenzung (Telizität) einer (veränderlichen) Situation; ist sie grenzenlos (atelisch), ist es ein durativer Vorgang;
  5. die Lokalisation der in einer (somit telischen) Situation eingezogenen Grenze:
    1. besteht die Grenze am Schluß, ist die Situation ein terminativer Vorgang;
    2. besteht die Grenze am Anfang, ist es ein ingressives Ereignis;
    3. besteht sie an beiden Seiten, ist es ein punktuelles Ereignis (englischer Terminus für eine [agentive] punktuelle Situation in Vendler 1957: achievement).

Diese Einteilung der Situationen ist in der Skala der Zeitstabilität zusammengefaßt, die im Abschnitt über die Situation eingeführt wird:

Time stability
dynamicity stative dynamic
telicity atelic telic
durative right-bounded left-bounded
    terminative ingressive punctual
situation type class inclusion property state process event

Aspektualität ist sowohl im paradigmatischen als auch im syntagmatischen Verhältnis von Situationen zueinander relevant. Das syntagmatische Verhältnis von Situationen in ihrer Aspektualität nennt sich Taxis. An diesem Punkte überschneiden sich die kognitiven Domänen der Aspektualität und der Temporalität; denn letztere betrifft die zeitliche Verortung einer Situation; und diese findet notwendigerweise mit Bezug auf einen Fixpunkt statt, welcher notwendigerweise eine andere Situation ist.

    Die oben eingeführten aspektuellen Eigenschaften können wie immer (s. die Ausdrucksverfahren für semantische Komponenten)
  1. unkodiert bleiben oder
  2. in Lexemen als lexikalisch-semantische Merkmale
  3. in Lexemen als Wortbildungskategorien
  4. an Wortformen als Flexionskategorien
  5. oder in Sätzen als syntaktische Eigenschaften
  6. kodiert werden.

Einige der aufgeführten Kodierungsverfahren im Bereich der Aspektualität haben eigene Termini für sich:

Der hier gemachte Unterschied zwischen Aspekt und Aktionsart wird in der deutschen und slawischen linguistischen Literatur gemacht, oft jedoch nicht in der anglophonen; hier findet man oft nur den Begriff ‘aspect’. Wie die meisten linguistischen Unterschiede ist auch dieser kein kategorischer, sondern ein gradueller. Wir verdeutlichen uns zunächst das Gemeinte an klaren Fällen.

Aktionsart

Dynamizität

Aktionsarten sind derivative Kategorien, in die sich die Verben als Elemente des Lexikons gliedern. Die kognitive Basis sind verschiedene qualitative und quantitative Merkmale von Situationskernen. An oberster Stelle steht hier die oben erwähnte Einteilung der Verbbedeutungen in Zustände (engl. states) und Vorgänge (processes). Der Unterschied liegt in der Dynamizität, d.h. in der Tatsache, daß sich bei Vorgängen etwas ändert, bei Zuständen nicht. Das setzt den Input von Energie bei Vorgängen voraus, während Zustände ihn nicht benötigen. Dem entsprechen die in Umgangssprache diesen beiden Situationstypen üblicherweise zugeschriebenen Prädikate: wir sagen, daß bei Vorgängen etwas abläuft, geschieht, während sich bei Zuständen nur etwas so und so verhält.

Eine Art von Vorgängen sind die Handlungen (engl. actions). Diese unterscheiden sich von anderen Vorgängen dadurch, daß sie von einem Agens kontrolliert werden. D.h. bei Handlungen tut jemand etwas, während von anderen Vorgängen bloß jemand oder etwas betroffen wird bzw. ihm oder der Sache etwas geschieht. zeigt je ein Beispiel für Zustand (a), nicht-kontrollierten Vorgang (b) und Handlung (c).

.a.Martha weiß die Antwort.
b.Martha wächst unaufhaltsam.
c.Martha tritt Erwin vors Schienenbein.

Sätze mit nominalem Prädikat, wie die in , bezeichnen allemal nicht-dynamische Situationen, und zwar einen Zustand (#a und #b), eine Eigenschaft (#c) oder Klasseninklusion (#d).

.a.Die Wäsche ist trocken.
b.Frieda ist matt.
c.Erna ist schwer.
d.Georg ist ein Held.

Jede Sprache stellt eine Reihe von Operationen zur Verfügung, um einen gegebenen Situationskern in eine andere Kategorie zu überführen. Da es sich hier um lexikalische Klassen handelt, sind dies Wortbildungsoperationen. So haben wir z.B. derivative Mittel, um von Adjektiven Verben abzuleiten und also Zustände in Vorgänge zu überführen. Vgl. mit a und b.

.a.Die Wäsche trocknet.
b.Frieda ermattet.

Die Verben in B3 bezeichnen Vorgänge, die in dem Übergang in den zugrundeliegenden Zustand bestehen. Sie heißen fientiv (lat. fieri “werden”), traditionell auch inchoativ (lat. inchoare "anfangen").1 Fientive Verben werden mit anderen Verben, die einfach einen Vorgang in seinem Verlauf bezeichnen, zu den durativen Verben (lat. durare "dauern") zusammengefaßt. (Der englische Terminus für [agentive] durative Situationen in Vendler 1957 ist activity.)

Daneben gibt es Verben, die die linke Grenze einer Situation fokussieren und daher das Eintreten einer Situation bezeichnen. Sie heißen ingressiv (lat. ingredi "eintreten"). Z.B. kann man von den durativen Verben schlafen, wachen, brennen die ingressiven Verben einschlafen, aufwachen, entbrennen ableiten.

Das konträre Gegenteil des ingressiven Verbs ist das terminative Verb; es bezeichnet einen Vorgang, der ein intrinsisches Ende hat, und fokussiert dessen Erreichen (englischer Terminus nach Vendler 1957: accomplishment). Verben mit terminativem Verbalcharakter sind z.B. kommen, finden. Wiederum kann man auch Verben terminativer Aktionsart von durativen ableiten, z.B. verbrennen von brennen, verschwinden von schwinden usw. Zur diagnostischen Unterscheidung von terminativen und durativen Verben gibt es auch einen Testrahmen.

Ingressive und terminative Verben sagen also, daß eine Änderung eintritt, daß durch den Vorgang eine Grenze überschritten wird, hinter der die Situation eine andere ist als zuvor. Sie werden auch unter der Bezeichnung telische Verben (griech. telos "Ziel, Grenze") zusammengefaßt. Durative Verben sagen darüber nichts, sondern richten sich auf den Verlauf des Vorgangs selbst. Sie heißen auch atelische Verben.

Ableitung von Handlungsverben

Handlungen können sowohl von Zuständen als auch von nicht-kontrollierten Vorgängen abgeleitet werden. So können wir die Zustände der a-Sätze in die Handlungen der b-Sätze von und überführen.

.a.Das Waschbecken ist sauber.
b.Harro säubert das Waschbecken.
.a.Helgas Gesicht ist schwarz.
b.Helga schwärzt ihr Gesicht.

Derart von Adjektiven abgeleitete Handlungsverben heißen faktitiv (von lat. facere "machen"). Sie bedeuten das Machen zu dem, was ihre Basis besagt.

Ferner können wir die Vorgänge der a-Sätze in und in die Handlungen der b-Sätze überführen.

.a.Das Erdbeereis schmilzt.
b.Karlchen schmilzt das Erdbeereis.
.a.Adelheid schläft.
b.Ede schläfert Adelheid ein.

Derart von Verben abgeleitete Handlungsverben heißen kausativ ("verursachend, veranlassend"; lat. causa "Ursache"). Sie bedeuten, daß ihr Subjekt veranlaßt, daß die von ihrer Basis ausgedrückte Situation stattfindet. Die Grenze zwischen faktitiven und kausativen Verben ist übrigens nicht scharf, weil nicht klar ist, ob das Unterscheidungskriterium in der Wortart der Basis (Adjektiv vs. Verb) oder ihrer Aktionsart (Eigenschaft/Zustand vs. Vorgang) liegt. (In der [um terminologische Präzision meist weniger bemühten] anglophonen linguistischen Tradition werden faktitive Verben grundsätzlich unter die kausativen Verben subsumiert.)

Kausativität wird hier unter den Aktionsarten aufgeführt. Es wäre jedoch eine unangemessen verengte Sicht, sie auf einen Aktionsartbegriff zu reduzieren. Das Wesen der Kausativität ist die Einführung eines zusätzlichen, den gesamten Sachverhalt kontrollierenden Agens. Dies ist erstens auch bei Verben möglich, die bereits Handlungen bezeichnen; und es geschieht zweitens häufig mit regelmäßigen syntaktischen Mitteln, im Deutschen z.B. so wie in .

.a.Das Kaninchen verschwand.
b.Der Zauberer ließ das Kaninchen verschwinden.

Genaueres zur Kausativität in der Grammatik.

Iteration, Intensivierung, Attenuation

Andere derivative Operationen führen ebenfalls keinen Wechsel zwischen den Hauptklassen der Zeitstabilität herbei, sondern schaffen feinere Unterschiede innerhalb ihrer. zeigt eine Sammlung von lateinischen Verben, die mittels eines -ta-Suffixes von anderen Verben deriviert sind.

.a.clamare "schreien" > clamitare "brüllen"
iacere "werfen" > iactare "schleudern"
terrere "erschrecken" > territare "zu Tode erschrecken"
Latb.nuere "nicken" > nutare "schwanken"
salire "springen" > saltare "tanzen"
dicere "sagen" > dictare "zu sagen pflegen" > dictitare "immer wieder sagen"

Die Beispiele illustrieren zwei Aktionsarten: in .a haben wir intensive Verben, in #b dagegen iterative (lat. iterare "wiederholen") oder frequentative (lat. frequentare "häufig tun") Verben. Im Deutschen gibt es keine derivativen Prozesse zur Bildung von Intensiva. Elementare Iterativa werden im Abschnitt über verbale Pluralität erwähnt. Deriviert werden sie gelegentlich mit einem -l-Suffix; vgl. stechen - sticheln, streichen - streicheln. In vielen Sprachen ist die Totalreduplikation ein übliches Mittel zur Bezeichnung der Iteration, so wie in aus dem Portugiesischen.

.Batia batia batia, mas ninguém apareceu.
Port"Ich klopfte und klopfte, aber niemand erschien."

Das Gegenstück zu den intensiven Verben bilden die attenuativen (lat. attenuare "abschwächen") oder auch deminutiven Verben, wie in .

.a.lachen > lächeln
b.husten > hüsteln

Wiewohl Intensivierung und Attenuation einen konträren Gegensatz bilden, sind beide nicht immer von Iteration zu unterscheiden. So können einige der Verben in .a und auch als Iterativa interpretiert bzw. verwendet werden. Wie man sieht, werden ja auch teilweise dieselben Strukturmittel eingesetzt.

Aspekt

Die kognitive Basis der Aspekte ist dieselbe wie für die Aktionsarten: Zustände und Vorgänge werden als zeitliche Gestalten aufgefaßt und nach gewissen qualitativen und quantitativen Merkmalen in Kategorien eingeteilt und syntagmatisch zueinander in Beziehung gesetzt. Die Mittel dazu sind allerdings grammatische. Während also eine Aktionsart eine Kategorie eines verbalen Lexems ist, ist ein Aspekt eine Kategorie einer gegebenen Verbform.

Perfektivität

Der Begriff des Aspektes wurde zunächst für eine Kategorie der slavischen Verben eingeführt, die die Subkategorien perfektiv und imperfektiv aufweist. und zeigen die kanonischen russischen Beispiele.

.a.Ja pisal pis'mo.
Russ“Ich schrieb(Impfv) an einem Brief.”
 b.Ja napisal pis'mo.
“Ich Prfv:schrieb den/einen Brief.”

Das Verb in .a zeigt den (hier unmarkierten) imperfektiven Aspekt, das in #b den (hier mit dem Präfix na- gebildeten) perfektiven Aspekt.

Das Entsprechende gilt für . In einer deutschen Übersetzung könnte man den Unterschied etwa durch "was hat er getan" vs. "was hat er zu Ende gebracht / erreicht" wiedergeben.

.čto že delal Bel'tov v prodolženie etich desjati let?
Russ“Was denn tat(Impfv) Bel'tov im Verlauf dieser zehn Jahre?”
 Vsjo ili počti vsjo.Čto on sdelal?Ničego, ili počti ničego!
“Alles oder fast alles.Was er Prfv:tat?Nichts, oder fast nichts!

illustriert imperfektives (#a, mit Suffix -b-) vs. perfektives (#b, mit Akzent auf der Endung) Präteritum des Spanischen.

a.Me encontré a Pedro cuando iba al colegio.
Span‘I met Peter when I was going to the college.’
 b.Me encontré a Pedro cuando fui al colegio.
‘I met Peter when I went to the college [i.e. in the college]’

illustriert perfektiven (#a, mit Präfix ge-) vs. imperfektiven (b) Aspekt im Altenglischen.

.a.æfter þæm gefeaht Pompeius se consul wiþ eal þa folc, & gefliemed wearþ. (Orosius R 10.234.17)
Altengl“Danach Prfv:kämpfte Pompejus der Konsul mit all den Völkern und wurde in die Flucht geschlagen.”
b.æfter þæm Philippus feaht on Thona þa burg ...; & him þær wearþ oþer eage mid anre flan ut ascoten. (Orosius R 7.112.13)
“Danach kämpfte Philippus in der Stadt Thona ...; und da wurde ihm ein Auge mit einem Pfeil ausgeschossen.”

Im Falle #a folgen die beiden beschriebenen Situationen aufeinander; im Falle #b ereignet sich die zweite, während die erste im Gange ist. S.u. zur Taxis.

Andere aspektuelle Kategorien

Das Perfekt ist ein Tempus, das mit einer Aspektkategorie vermischt ist. Als Aspekt bezeichnet das Perfekt eine Situation, die abgeschlossen ist, deren Ergebnis aber fortbesteht. Im Deutschen, Lateinischen und mehreren anderen Sprachen ist das Perfekt, mindestens in den finiten Formen (s.u. zum Partizip), ans Tempus, genau gesagt an die Vorzeitigkeit zum Präsens, gebunden. (Markiertere Varianten des Perfekts sind vorzeitig zu Vergangenheits- und Zukunftstempora.) Folglich findet dann der Abschluß der Situation in der Vergangenheit statt, während ihr Ergebnis noch in der Gegenwart vorliegt.

.a.Die Vase zerbrach.
b.Die Vase ist zerbrochen.
.a.Die Gäste kamen an.
b.Die Gäste sind angekommen.

Die a-Sätze von und stehen im - aspektuell unmarkierten - Präteritum. Sie berichten über einen in der Vergangenheit stattgehabten Vorgang. Die b-Sätze dagegen, die im Perfekt stehen, berichten zwar auch über einen in der Vergangenheit stattgehabten Vorgang, drücken aber außerdem aus, daß das Ergebnis des Vorgangs in der Gegenwart fortbesteht. Dies könnte man verdeutlichen, indem man hinzufügt: "und folglich jetzt kaputt" bzw. "und folglich jetzt da". Der Unterschied ist deutlich bei terminativen Verben, weil die eben ein Ergebnis erreichen. Bei durativen Verben wie laufen (in ) bleibt im Perfekt von der aspektuellen Bedeutung bloß der aktuelle Bezug auf die Gegenwart.

.a.Ich lief durch die ganze Stadt.
b.Ich bin durch die ganze Stadt gelaufen.

So ist .a Teil einer Erzählung über vergangene Ereignisse, während #b über ein Ereignis von jetzt aktueller Relevanz berichtet. Das kann mit einem Unterschied in der zeitlichen Entfernung korrelieren in dem Sinne, daß das Präteritum sich auf länger Vergangenes, das Perfekt auf frisch Passiertes bezieht. Das ist aber nicht entscheidend. Mit .a und b kann man sich auf dieselbe (zeitlich fixierte) Situation beziehen. Aber in #b kann die Implikation sein "da kannst Du mich jetzt bemitleiden", während #a bloß Hintergrundinformation zu dem ist, was im nächsten Satz folgt. Dieser Unterschied besteht übrigens in mehreren deutschen Dialekten nicht mehr und ist auch nicht in allen Sprachen, die über Perfekt vs. Präteritum als morphologische Kategorien verfügen, derselbe.

Im Partizip Perfekt verschwindet die Tempuskategorie, und es bleibt bloß die Zustandsbedeutung des Perfekts. Daher bedeutet die zerbrochene Vase fast dasselbe wie die kaputte Vase; und auch bei der geprügelte Hund kommt es darauf an, daß der Hund sich in einem bestimmten Zustand befindet, nicht daß ihm in der Vergangenheit eine Handlung widerfahren ist. Wir können hier an den Abschnitt über die Aktionsarten anknüpfen: in vielen Sprachen ist das Perfekt ein Mittel, um Handlungen in Zustände zu überführen. Es hat dann resultative Funktion.

Der progressive Aspekt besagt, daß ein Vorgang in seinem Verlauf, also weder im Hinblick auf den Anfang noch im Hinblick auf das Ende, betrachtet wird. Die Kategorie existiert im Englischen (.a), Spanischen (b) und vielen anderen Sprachen und ist im Deutschen in mehreren Substandard-Varietäten geläufig (c).

.a.Jimmy is singing.
b.Jaime está cantando.
c.Jakob ist am singen.

Was im Verlauf betrachtet werden können soll, muß ein Vorgang sein. Zustandsverben bilden daher i.a. keine progressive Form (*Jimmy is knowing the answer).

Der progressive Aspekt ist in seinem semantischen Gehalt nicht klar vom imperfektiven unterschieden. Der Unterschied zwischen den beiden besteht i.w. in der Natur der Oppositionen, in denen sie stehen: Der imperfektive Aspekt steht in Opposition zum perfektiven Aspekt, und zwar oft so wie in und , daß der perfektive ihm gegenüber markiert ist. Der progressive Aspekt dagegen ist immer markiert gegenüber einer aspektlosen Form. Sehr häufig wird er, wie in , mit einer infiniten (meist gerundialen) Form des Vollverbs und dem Existenzverb als Auxiliar gebildet.

In den Sprachen der Welt gibt es noch eine Reihe von Aspekten, die hier nicht aufgezählt werden müssen. Erwähnenswert, weil aus dem Englischen bekannt, ist der in illustrierte habituelle Aspekt. Er drückt aus, daß etwas der Fall zu sein pflegt, daß es also innerhalb einer gegebenen Zeitphase normalerweise oder immer so ist.

.Billy used to smash his teachers' windows.

Auch hier liegt übrigens eine Bindung an die Kategorie Tempus vor, weil der habituelle Aspekt mit used to nur im Präteritum vorkommt.

Taxis

Situationen werden nicht in Isolation zeitlich gestaltet, sondern im Kontext. Das bedeutet, daß der Aspekt wesentlich auch das Verhältnis zweier Situationen zueinander in ihrem zeitlichen Verlauf ausdrückt. Die Gestaltung syntagmatischer zeitlicher Verhältnisse von Situationen durch aspektuelle Kategorien heißt Taxis. Besonders wichtig und in vielen Sprachen ausgedrückt ist das Verhältnis zwischen einem Hintergrundsvorgang, der in seinem zeitlichen Verlauf betrachtet wird, und einem Vordergrundsvorgang, der in seiner Totalität stattfindet, während der andere verläuft. zeigt ein typisches Beispiel im Lateinischen, Englischen, Spanischen und Russischen (vgl. auch .b oben).

.a.Petrus laborabat in agro. Statim avicula apparuit.
b.Peter was working in the field. Suddenly a little bird appeared.
c.Pedro trabajaba en el campo. De repente un pajarito aparec.
d.Pjotr rabotal na pole. Za raz predstavilas' ptička.
“Peter arbeitete(IMPV) auf dem Feld. Auf einmal erschien(PRFV) ein Vögelchen.”

In allen vier Beispielen tritt für die im Verlauf befindliche Hintergrundsituation ein imperfektiver bzw. progressiver Aspekt ein, während die abgeschlossene Vordergrundsituation einen perfektiven oder jedenfalls nicht-imperfektiven bzw. nicht-progressiven Aspekt aufweist. Hochdeutsch als aspektarme Sprache benutzt eher temporale Konjunktionen (“während Peter auf dem Feld arbeitete, erschien ...”), um solche taktischen Verhältnisse zu differenzieren.

Aspekt vs. Aktionsart

Aspekt ist weder von Tempus noch von Aktionsart leicht zu unterscheiden. Wie wir sahen, sind erstens die zugrundeliegenden kognitiven Kategorien i.w. die gleichen; zweitens bestehen paradigmatische Abhängigkeiten zwischen den Subkategorien der drei Kategorien, derart daß z.B. ein bestimmter Aspekt an ein bestimmtes Tempus oder eine bestimmte Aktionsart gebunden ist; und drittens sind die Ausdrucksmittel ebenfalls nicht klar distinkt. Häufig ist z.B. in der einen Sprache ein Aspekt, was in der anderen eine Aktionsart ist. Der imperfektive vs. perfektive Aspekt des Russischen (.a vs. b) läßt sich gelegentlich im Deutschen mit morphologischen Mitteln am Verb wiedergeben:

.a.Ja kušaju supu.
Russ“Ich esse (die) Suppe.”
b.Ja skušaju supu.
“Ich esse die Suppe auf.”

Allerdings sind essen und aufessen im Deutschen nicht zwei Formen eines Verbs, sondern zwei verschiedene Verben. Die terminative Aktionsart des Deutschen entspricht also hier dem perfektiven Aspekt des Russischen.

Man kann also Tempus, Aspekt und Aktionsart nur als prototypische Begriffe voneinander unterscheiden:

Totale und partielle Erfassung

Die Perfektivitätsopposition hat funktionelle Gemeinsamkeiten mit zwei nicht-aspektuellen Oppositionen:

Wann immer eine Situation also einen Betroffenen (undergoer) als Partizipanten umfaßt, bedeutet totale Erfassung der Situation typischerweise, daß auch der Betroffene zur Gänze erfaßt und affiziert wird, während Unabgeschlossenheit der Situation typischerweise bedeutet, daß er nur teilweise erfaßt oder affiziert wird. Daher besteht folgende Entsprechung:

Totale und partielle Erfassung
Kategorie
Erfassung ╲
AspektDefinitheitKasus
totalperfektivdefinitAkkusativ
partiellimperfektivindefinitPartitiv

Das bedeutet, daß unter bestimmten Voraussetzungen totale vs. partielle Erfassung durch eine jede der drei grammatischen Kategorien kodiert werden kann, daß also eine Sprache das Fehlen einer dieser Kategorien teilweise durch eine der anderen kompensieren kann. Z.B. hat Deutsch keinen Aspekt und auch keinen Partitiv, wohl aber Definitheit, während Russisch keine Definitheit und auch nur unter bestimmten Bedingungen einen partitiven Genitiv, wohl aber Aspekt hat. Die teilweise Isofunktionalität von Aspekt und Definitheit zeigt im russisch-deutschen Vergleich:

.a.onkolo-ldrov-a
Russerspalt(IMPFV)-PRT.M.SGHolz-GEN.SG
“er spaltete Holz”
 b.onras-kolo-ldrov-a
erPFV-spalt-PRT.M.SGHolz-GEN.SG
“er spaltete das Holz”

Finnisch hinwiederum hat keine Perfektivität und keine Definitheit, wohl aber einen Partitiv. Er tritt in .a an einem Massensubstantiv auf, wo nur ein Teil des Objektes erfaßt wird, während der Akkusativ in #b bedeutet, daß das Objekt zur Gänze erfaßt wird.

.a.Juo-nkahvi-a.
Finntrink-1.SGKaffee-PART
“Ich trinke Kaffee.”
 b.Juo-nkahvi.
 trink-1.SGKaffee
“Ich trinke den Kaffee.”

Wie zeigt, entspricht der Partitiv bei einem Individualsubstantiv der deutschen Indefinitheit.

.a.Kirjoita-nkirje-ttä.
Finnschreib-1.SGBrief-Part
“Ich schreibe einen Brief.”
 b.Kirjoita-nkirje.
 schreib-1.SGBrief
“Ich schreibe den Brief.”

Übungsaufgabe: Deutscher Progressiv

Literaturhinweise

Beck 2000; Vogel & Comrie (eds.) 1999, Vendler 1957


1 Der traditionelle Terminus war eigentlich von Anfang an unpassend, denn solche Verben bezeichnen nicht das Anfangen eines Zustands, sondern den Vorgang, der zu ihm führt. Z.B. bedeutet das inchoative Verb altern nicht “anfangen, alt zu sein”, sondern “sich in dem Vorgang befinden, der zu dem Zustand ‘alt’ führt”. Solche Verben sind oft sogar terminativ-durativ (und nicht etwa ingressiv), was der Test mit dem Befristungsadverb erweist: das Foto alterte innerhalb von zwei Wochen; das bedeutet: “innerhalb von zwei Wochen war das Foto alt”.