I. Dokumentation der Sprache

Umgangsfranzösische Textprobe
Àproposdesnouveauxvoisins:
apʁɔpodenuvo vwazɛ̃
zuThemavon:DEF.PLneu(:PL) Nachbar(:PL)
“A propos die neuen Nachbarn:”
voussavezquelâgeilalui?
vusavekɛlilalɥi
Siewiss:2.PLwelchAlterSBJ.3.SG.M hater
“Wissen Sie, wie alt er ist?”
Non;vouslesavezvous?
nɔ̃vulsavevu
neinSBJ.2.PLOBJ.3.SG.Mwiss:2.PLSie
“Nein; wissen Síe es?”
Oui;macousinequiconnaîtsesparentsmel'adit.
wimakuzinkikɔnɛsepaʁãmladi
jameineBasediekenntseineElternIO.1.SGOBJ.3.SG-hatgesagt
“Ja; meine Kusine, die seine Eltern kennt, hat es mir gesagt.”
Ilatrenteans.
ilatʁãtã
SBJ.3.SG.Mhat30Jahr(:PL)
“Er ist dreißig.”
Alorsc'estvousquiaviezraison.
alɔʁvukjavjeʁɛzɔ̃
danndas-istSiederhatte:2.PLRecht
“Dann hatten doch Sie Recht.”

II. Beschreibung der Sprache

1. Situation der Sprache

1.1. Sprachname

Frz. français "französisch" < françois, Adj. auf -ois zu France (vgl. anglais vs. suédois; Lautwandel). France geht zurück auf Francia `Frankenland'. Der Name der Franken kommt vom germ. frank "frei" (vgl. das rom. Lehnwort frz. franc, ital. span. port. franco "frei").

Das deutsche Adjektiv französisch ist vollkommen unregelmäßig auf der Basis von françois eingedeutscht.

germ. frank fränk. Franke → frz. Francefrançais → dt. französisch
rom. franco → frz. franc

Der ursprüngliche Sprachname latino wird für diese romanische Sprache seit Beginn ihrer schriftlichen Überlieferung nicht mehr verwendet (wohl aber für das Ladinische).

1.2. Ethnographische Situation

1.2.1. Sprachgebiet

Zunächst (frühestens seit dem 5. Jh.) die Sprache des fränkischen Reiches, also nördliches Gallien. In den folgenden Jahrhunderten die Sprache von Nord- und Zentralfrankreich, der Kanalinseln, der Westschweiz, des Aostatals und des wallonischen Belgien. In Südfrankreich sprach (und spricht man z.T. noch) Provenzalisch, einen okzitanischen Dialekt. In Europa ist Französisch außerdem Amtssprache in Luxemburg und Monaco.

Außerhalb Europas wird Französisch in Südost-Kanada, Westindien, im Maghreb (Algerien, Marokko, Tunesien), mehreren Staaten West- und Zentralafrikas, Madagaskar sowie auch in Südasien, größtenteils als Amtssprache, gesprochen.

1.2.2. Sprachgemeinschaft

Zunächst Römer und Gallier, dann Franken. Heute ethnisch heterogen.

Es gibt 2011 keine zuverlässige Quelle über die Zahl der Sprecher des Französischen in den diversen Ländern und Gebieten. Die folgenden Zahlen stammen aus verschiedenen Quellen.

Sprecherzahlen des Französischen (2010)
62 Mio.Frankreich
4 Mio.Belgien
6,3 Mio.Schweiz
6,5 Mio.Kanada
11,2 MioAlgerien
......
115 Mio.Welt

1.3. Genetische Situation

1.3.1. Extern

Die genetische Einordnung des Französischen in die Romania ergibt sich aus der Gliederung der Romania.

Fazit: Französisch ist gleichzeitig westromanisch und zentralromanisch.

1.3.2. Intern

(Nord-)Französisch, Franko-Provenzalisch und Provenzalisch werden oft (z.B. von der Académie Française) als Dialekte des Französischen gehandelt. Alternative Namen nach dem Ausdruck für ‘ja’ sind:

Dies sind jedoch verschiedene Sprachen (s.o.).

Seit dem 12. Jh. etabliert sich der Dialekt von Paris (die Sprache des Königshofes), das francien, als Norm. Daneben gibt es français régional und patois (Mundart). Außerdem Kreolsprachen auf Haiti, Mauritius u.a.

1.4. Kulturelle Situation

Perioden der französischen Sprachgeschichte
BeginnPeriodeCharakteristika
300Galloromanischdialektale Ausdifferenzierung des Urromanischen (als gesprochener Sprache)
850Altfranzösischchristliche Texte, Poesie, Epik
1250MittelfranzösischHerausbildung einer Norm auf Basis des Pariser Dialekts
1600NeufranzösischKodifikation der Norm

Zur Entstehung der romanischen Sprachen aus dem Vulgärlateinischen s. hier.

Die Franken waren ursprünglich ein germanischer, zunächst am mittleren Rhein (ripuarische Franken) und am Niederrhein und im heutigen Belgien (salische Franken) ansässiger Stamm, der jedoch bereits im 5. Jh. den größten Teil von Gallien beherrschte und sich dort sprachlich an das Galloromanische assimilierte. (Sonst spräche man in Frankreich heute Fränkisch.) Das an den merovingischen und karolingischen Höfen gesprochene Fränkisch war (lt. Tagliavini 1972:306) eine Mischsprache, die aus salischem und ripuarischem Fränkisch, anderen germanischen Elementen und aus Urromanisch bestand.

Erster franz. Text: Straßburger Eide: Vertrag zwischen Ludwig dem Deutschen (Eide auf Altfranz.) und Karl dem Kahlen (Eide auf Ahd.); 842.

1.5. Soziale Situation

1.5.1. Extern

Französisch ist in Frankreich alleinige offizielle Sprache, in anderen Ländern wie Belgien und Kanada offizielle Sprache neben anderen.

In Frankreich in Konkurrenz zu den anderen (gallo-)romanischen Sprachen, zum Bretonischen, Baskischen, Deutschen.

Löste als internationale Diplomaten- und Verkehrssprache das Lateinische ab (im 17. Jh.). Wird seit dem 2. Weltkrieg international vom Englischen verdrängt.

1.5.2. Soziolekte

Die Hochsprache wird von der Académie Française gehütet. Daneben gibt es das "Populärfranzösisch":

"Le français populaire est la variété que les grands bourgeois parisiens attribuent à leur concierge mais qu'ils parlent eux-mêmes."

2. System der Sprache

2.1. Ausdruckssysteme

2.1.1. Phonologie

2.1.1.1. Inventar
Französisches Konsonantensystem
     Artikulationsstelle
Artikulationsart
labial dental palatal velar uvular
okklusiv stimmlos p t k
stimmhaft b d g
frikativ stimmlos f s ʃ
  stimmhaft v z ʒ ʁ
nasal   m n ɲ
lateral   l ʎ
halbvokalisch   j / ɥ w

Französisches Vokalsystem

oral
vorn hinten
i / y u
e / ø ə o
ɛ / œ ɔ
a ɑ
nasal
vorn hinten
 
 
  ɛ̃ / œ̃ ɔ̃
  ɑ̃

Maximal 12 Oralvokale werden gemeinhin zu 9 reduziert, indem die Oppositionen zwischen den halbgeschlossenen und halboffenen runden sowie die zwischen den beiden offenen Vokalen aufgegeben werden. Dazu kommen 4 (> 3) Nasalvokale (œ̃ > ɛ̃), also reiches Vokalsystem.

2.1.1.2. Kombinatorik

Eine Sinneinheit bildet ein phonologisches Wort. Innerhalb eines phonologischen Wortes fungieren die grammatischen Grenzen nicht als phonologische Grenzsignale, m.a.W. die Syllabierung geht über diese Grenzen hinweg. Der Vorgang heißt in der traditionellen frz. Grammatik Liaison. Z.B. il faut y aller [i.fo.(t)ja.le] “man muß da hingehen”.

Regelmäßige KV(K)-Struktur mit Anaptyxe und Synkope:

ma petite amie [map.ti.ta.mi]
des contacts pénibles [de.kɔ̃.tak.tə.pe.ni.bl]

Auf dem Wege vom Lateinischen zum modernen Französischen wurde der Wortkörper stark reduziert:

Reduktion des Wortkörpers (frz. [vɛʁ])
Latein Spanisch Französisch
vermis Wurm verme ver
versus gegen verso vers
vitrum Glas vidrio verre
viridis grün verde vert

2.1.2. Schrift

Französisch wird mit dem lateinischen Alphabet nebst einigen Diakritika geschrieben. Die Orthographie war im Altfranzösischen noch einigermaßen phonologisch und regelmäßig. Z.B. gab es zunächst in der Orthographie ebensowenig wie in der Phonologie ein h. Es wurde, als “h aspiré”, nur für fränkische Lehnwörter benötigt. Im Mittelfranzösischen (1300-1500) jedoch gab es durchgreifende (überwiegend reduktive) Lautwandel ohne Anpassung der Orthographie. Im 16. Jh. wurde das etymologische Prinzip in der Schreibung eingeführt, mit <h> wie im Lateinischen und zahlreichen Pseudoetymologien.

(Pseudo-)Etymologische Schreibung im Französischen
Altfranz. Mittelfranz. Latein
doit doigt digitus
set sept septem
pois pensum
poids pondus

2.2. Semantisches System

2.2.1. Grammatik

2.2.1.1. Morphologie

Synthetische Konjugation für 4 Tempora (Präsens, Imperfekt, Präteritum, Futur) in zwei Modi plus Konditional. Dazu analytische Tempora und Aspekte.

Die Personalendungen des Verbs verfallen stärker als in den anderen romanischen Sprachen. In den meisten Subparadigmen (u.a. Prs. u. Imperf.) nur 1. und 2. Pl. distinkt von 0.

Keine Kasus. Genus und Numerus in den Artikeln, in Subst. und Adj. nur bei Liaison.

Viele Adj. haben mask. und feminine Form:

Genus im französischen Adjektiv
maskulinum femininum
SchriftLaut SchriftLaut
grand [gʁã] grande [gʁãd]
petit [pti] petite [ptit]
gris [gʁi] grise [gʁiz]
gentil [ʒãti] gentille [ʒãtij]

In synchroner Analyse ist das Genus maskulinum auf der Basis des Femininum durch Apokope des auslautenden Konsonanten zu beschreiben.

Markiertheitsanalyse der französischen Adjektivdeklination
(Schane 1970:288ff.)
Ausdruck Bedeutung Ausdruck Bedeutung
/pətit/ "klein" /pətit+ə/ "klein + fem."
/pətit+z/ "klein + pl." /pətit+ə+z/ "klein + fem. + pl."

Die Morphologie hat sich aus synthetischer lateinischer Morphologie entwickelt und ist nun weitgehend analytisch:

Von synthetischer zu analytischer Morphologie
     Synthesegrad
Kategorie     ╲
synthetisch analytisch
Präteritum fit a fait
Futur fera va faire

Weiteres zur grammatischen Entwicklung des Französischen.

2.2.1.2. Syntax

Das System der Fundamentalrelationen ist akkusativisch. Die Konstruktion der syntaktischen Relationen entwickelt sich von exzentrisch zu konzentrisch:

Agglutination der klitischen Pronomina und deren Grammatikalisierung zu Kongruenzpräfixen:

mon père il dit que ...

ils aiment [izɛm] hat "Subjektpräfix"

Dadurch Entwicklung von VSO-Stellung;

je la déteste, Marie

je le lui ai donné, moi, le livre, à Pierre

Grammatikalisierung der Negation:

non passum > ne ... pas > pas

Definiter und indefiniter Artikel. Im Plural statt des indefiniten Artikels der Teilungsartikel de. Solchermaßen determinierten NSen entspricht auch ein Personalklitikum: en.

2.2.2. Lexikon

2.2.2.1. Herkunft des Bestandes

Wortschatz hauptsächl. vulgärlatein. = urroman. Ursprungs. Daneben:

Griechische Lehnwörter im Romanischen
LateinBedeutungItalien.Franz.Span.
angelusEngelangeloangeángel
balneumBadbagnobainbaño
bracchiumArmbracciobrasbrazo
chartaPapiercartachartecarta
chordaSchnurcordacordecuerda
diaconusDiakondiaconodiacrediácono
ecclesiaKirchechiesaégliseiglesia
episcopusBischofévêquebispo
epistulaBrief
gambaBeingambajambe-
hymnusHymneinnohymnehimno
martyriumMartyriummartiriomartyremartirio
monachusMönchemonacomoinemonje
nautaSeemann---
parabolaGleichnis; Wortparolaparolepalabra
petraStein-pierrepiedra
poētaDichterpoetapoètepoeta
presbyterPriesterpreteprêtreprete
*tiusOnkelzio-tío
Keltische Lehnwörter im Französischen und Spanischen
Keltisch*FranzösischSpanischBedeutung
alaudaafrz. aloe, nfrz. alouettealondraLerche
cambiarechangercambiarwechseln
cambitajanteFelge
camisachemisecamisaHemd
camminuschemincaminoWeg
carruscharcarroKarren
carrucacharrue-Pflug
cer(e)visiaaltfr. cervoisecervezaBier
rigaraiearrugaFurche, Scheitel, Streifen
ruscaruche-Bienenkorb
*soccussoc-Pflugschar

*latinisiertes Keltisch

Germanische Lehnwörter in romanischen Sprachen
germanisch kastilischitalienischfranzösischBedeutung
ahd. her(i)bergaalberguealbergoaubergeHerberge
*bier-birrabièreBier
blankblancobiancoblancweiß
frankfrancofrancofrancfrei
rīkricoriccorichereich
roberoparobarobeKleid
got. *spáura
fränk. *sporo
espuerasp(e)roneéperonSporn
wardguardiaguardiagardeWache
*werreguerraguerraguerreKrieg

Diese Lehnwörter finden sich jedoch alle auch in anderen romanischen Sprachen, sind also nicht erst ins Französische gedrungen.

Seit Mitte des 20. Jh. vermehrt auch Englisch (sport, parking, test).

Wie in allen westeuropäischen Sprachen, ist das Latein ständig eine der wichtigsten Quellen von Lexemen. In den roman. Sprachen führt die Entlehnung aus dem Lateinischen freilich zu lexikalischen Dubletten und insgesamt zu großer Komplexität des Lexikons in phonologischer und semantischer Hinsicht.

Dubletten von Erb- und Lehnwörtern im Französischen
(Vulgär-)Latein Französisch
ererbt entlehnt
Wort Bedeutung Wort Bedeutung Wort Bedeutung
causa Ursache chose Sache cause (Ur-)Sache
parabola Gleichnis parole Wort parabole Gleichnis
legale gesetzlich loyal rechtschaffen légal gesetzlich
pensare (er-)wägen peser wiegen penser denken
fragile zerbrechlich frêle gebrechlich fragile zerbrechlich
2.2.2.2. Wortbildung

Französisch hat keine Komposition, aber extensive Derivation.


III. Kommentare zur Sprachbeschreibung

1. Forschungsgeschichte

Seit dem Ausgang des Mittelalters gab es in den romanisch-sprachigen Ländern inkl. Frankreich Spekulation über die genetischen Verwandtschaftsverhältnisse der romanischen Sprachen. Deskriptive Linguistik gab es kaum, lediglich vereinzelte Traktate über französische Morphologie und Orthographie. 1660 publizieren Antoine Arnauld & Claude Lancelot ihre Grammaire générale et raisonnée von Port-Royal, die lateinisch basiert ist. 1680 erscheint das erste einsprachige französische Wörterbuch, 1694 die erste Auflage des Dictionnaire de l'Académie.

François Raynouard führt 1816 die Grammaire comparée der romanischen Sprachen und 1830 die Grammaire historique de la langue française ein. Friedrich Diez begründet die Romanistik durch seine dreibändige Grammatik der romanischen Sprachen (1836-44) und sein zweibändiges Etymologisches Wörterbuch der romanischen Sprachen (1853). Auch diese Werke waren historisch-vergleichend ausgerichtet. Eine wirklich deskriptive Sprachwissenschaft gibt es auch im 19. Jh. noch kaum. 1865 publiziert P. Larousse die erste Auflage seines Grand Dictionnaire Universel.

Im 20. Jh. blüht dann in Frankreich wie auch sonst die strukturale Sprachwissenschaft, die freilich nur wenige komplette Sprachbeschreibungen zeitigt. Die einflußreichste Grammatik des 20. Jh. ist Le bon usage des Belgiers Maurice Grevisse, erste Auflage 1936.

2. Ort dieser Darstellung

Ziel dieser Darstellung ist es, einen gerafften, aber umfassenden Überblick über die französische Sprache als ganze zu geben, in einem Umfang, der für eine Sitzung einer Lehrveranstaltung ausreicht, und in einem Allgemeinheitsgrad, der es gestattet, den Platz der französischen Sprache in der Welt einzuschätzen und sie mit anderen Sprachen zu vergleichen. Die Systematik folgt dem separat dargestellten Schema.

Es wurden keine Primärdaten erhoben und keine eigene Forschung angestellt. Die Grundlage des Vorangehenden sind ausschließlich Werke der Sekundärliteratur wie insbesondere die in Abschnitt IV aufgeführten.


IV. Literaturhinweise

Damourette, J. & Pichon, E. 1927, Essai de grammaire de la langue française I. Des mots à la pensée. Paris: J.L.L. d'Artrey. 2. Aufl. 1968.

Dauzat, Albert 1926, La langue française. Sa vie, son évolution. Paris: Stock.

Ewert, Alfred 1933, The French language. London: Faber & Faber.

Frei, Henri 1929, La grammaire des fautes. Introduction à la linguistique fonctionnelle: assimilation et différentiation; brèveté et invariabilité; expressivité. Paris: Geuthner (Genève: Kundig; Leipzig: Harrassowitz). Nachdruck: Genève: Slatkine Reprints, 1971.

Grevisse, M. 1980, Le bon usage. Paris & Gembloux: Duculot. 11. éd.

Harris, Martin 1989, "French". Comrie (ed.) 1989[w]:210-235.

Price, Glanville 1988, Die franzosische Sprache. Von den Anfangen bis zur Gegenwart. Tübingen: Francke (UTB, 1507).