Altfranzösisch


1. Herausbildung

Das Französische geht auf diejenige galloromanische Variante zurück, welche sich nördlich der Loire entwickelte und ‘langue d'oil’ genannt wurde. Diese romanische Sprache wich stärker als alle anderen vom Lateinischen ab. Der Unterschied wurde vor allem unter Karl dem Großen eklatant, weil dieser für eine bessere Ausbildung im Klassischen Latein sorgte. Daher trug der in Kap. 4 zitierte Beschluß des Konzils von Tours von 813, daß auf “Romanisch” zu predigen sei, in erster Linie dem Französischen Rechnung.

In der folgenden Periodisierung fällt die erste Periode mit der des Gemeinromanischen zusammen. Diese Periode ist also gleichzeitig durch zwei Merkmale charakterisiert: 1) die romanischen Sprachen entwickeln sich gemeinsam von der Stufe des gleichzeitig mit dem Klassischen Latein gesprochenen Volkslateins weg; 2) sie differenzieren sich regional so weit, daß sie mit dem Auftreten der ersten romanischen Dokumente individuiert sind.

Perioden der französischen Sprachgeschichte
BeginnPeriodeCharakteristika
300Galloromanischdialektale Ausdifferenzierung des Urromanischen (als gesprochener Sprache)
850Altfranzösischchristliche Texte, Poesie, Epik
1250MittelfranzösischHerausbildung einer Norm auf Basis des Pariser Dialekts
1600NeufranzösischKodifikation der Norm

Während sich aus den spätlateinischen Texten bis zu Karl dem Großen oft Schlüsse auf die Entwicklung der gesprochenen Sprache ziehen lassen, wird seit Karl dem Großen das geschriebene Latein wieder dem Klassischen Latein ähnlicher und insoweit als Quelle für Gemeinromanisch steril. Latein bleibt bis in die Neuzeit in weiten Bereichen bevorzugte Schriftsprache.

Dem steht auf Seiten des Französischen während alt- und mittelfranzösischer Zeit eine große Dialektvielfalt gegenüber, die mit der ethnischen Heterogenität und dem Fehlen einer politischen Zentralgewalt, ja über weite Strecken politischem Chaos zusammenhängt. Die Dialektvielfalt reduziert sich erst in der Neuzeit in dem Maße, in dem sich Pariser Zentralismus in Frankreich durchsetzt.


2. Entstehung der Literatursprache

Der älteste Text sind die Straßburger Eide (SE). Die Sprache des Textes hat Merkmale anderer galloromanischer Sprachen, ist aber überwiegend altfranzösisch. Der Text enthält diverse Latinismen wie in damno sit.
<a> in unbetonter Silbe steht für [ə]. Der Laut wird auch mit <e> und <o> geschrieben.
in und cist sind sicherlich etymologische Schreibungen; da wurde bereits [ɛ] gesprochen.
<dh> soll offensichtlich [ð] wiedergeben.
Alle auslautenden Vokale außer /ə/ = <a> sind geschwunden.
Die Wortstellung ist noch am Lateinischen orientiert.

Aus dem Ende des 9. Jh. stammt ein Gedicht auf St. Eulalia, aus der Zeit um 1000 weitere christliche Texte.

Die profane Epik wird seit Beginn des Mittelalters mündlich tradiert. Viele Epen drehen sich um die Taten der fränkischen Könige einschließlich Karls des Großen. Dieser läßt einige davon aufzeichnen. Eines davon ist das Rolandslied. Es steht am Anfang der französischen Literatur.

Das Französische konkurriert zunächst mit den anderen galloromanischen Sprachen, setzt sich jedoch ab 1300 gegen diese als Schriftsprache durch. 1539 bestimmt das Edikt von Villers-Cotterets, daß vor Gericht Französisch zu sprechen ist, und wenig später geben die Gebildeten das Latein als Schriftsprache zugunsten des Französischen auf.

Der Ausdruck françois > français bezeichnete ursprünglich den Dialekt der Ile-de-France. In dem Maße, in welchem dieser die Norm für das ganze Sprachgebiet abgab, fing der an, das Französische zu bezeichnen. Daraufhin wurde im 19. Jh. der Ausdruck francien “franzisch” geprägt, um genau den mittelalterlichen Dialekt der Ile-de-France zu bezeichen.


3. Entstehung des Sprachsystems

3.1. Phonologie

Aus der Fülle von Lautwandeln, die vom Lateinischen zum Altfranzösischen führen und bei Abfassung der ersten Texte, also Anfang des 9. Jh., abgeschlossen waren, werden hier die wichtigsten herausgegriffen.


Vokalismus

Der Intensitätsakzent wurde - ähnlich wie in den germanischen Sprachen und vermutlich durch deren Einfluß - so interpretiert, daß die akzentuierte Silbe verstärkt, benachbarte Silben geschwächt wurden. Das hat eine Reihe zusammenhängender Konsequenzen:1

Vokal in betonter Silbe:

./i/ und (das bereits im Galloromanischen aus /u/ entstandene) /y/ bleiben Monopthonge.


Vokal in unbetonter Silbe:

Prätonische Vokale (KV·'KV·KV) werden nach Möglichkeit synkopiert:

Posttonische Vokale in der Pänultima ('KV·CV·KV) werden synkopiert (camera > ['kamra]), außer wenn es sich um 'Ki·Ki·KV handelt (digito > afrz. doi, frigido > froid, viride > vert. Beispiele aus den SE sind Karlo, poblo.

Posttonische Vokale in der Ultima, also auslautende Vokale, werden reduziert. Der einzige in unbetontem Auslaut zulässige Vokal ist /ə/. Im einzelnen gilt: Wortauslautender Vokal wird

Die meisten dieser Wandel werden in folgender Tabelle illustriert:

Konsonantismus

Die Verstimmhaftung intervokalischer Plosive (lat. vita > altfrz. vide “Leben”) ist westromanisch; vgl. die iberoromanischen Beispiele. Aus den SE sind savir, podir einschlägig.

In einem zweiten Schritt werden intervokalische stimmhafte Plosive frikativiert. In der Orthographie erscheint dies nur im Falle von [β], wie in savir.

In einem dritten Schritt, der aber erst am Ende der altfranzösischen Phase ganz vollzogen ist, schwinden intervokalische [ɣ] und [ð] ganz:

Stimmhafte Obstruenten, welche durch die obigen Vokalreduktionen in den absoluten Auslaut geraten, erleiden Auslautverhärtung, was auf fränkischer Interferenz beruhen dürfte: altfr. grant “groß”, vif “lebendig”.

Fränkische Wörter mit initialem /χ/ werden - wie im Altdeutschen - mit <h> geschrieben. Im Unterschied zu dem <h>, welches in Wörtern romanischer Herkunft geschrieben wurde, wurde dieses h zunächst tatsächlich, als “hache aspiré”, gesprochen. Es geht zwar binnen kurzem den Weg jedes h in einer romanischen Sprache, aber es verhindert bis auf den heutigen Tag die Elision des auslautenden Vokals bzw. die Liaison des auslautenden Konsonanten des vorangehenden Wortes mit dem folgenden, mit solchem h anlautenden Wort.

Die Orthographie wird im 16. Jh. genormt, und zwar weitgehend nach etymologischen Prinzipien.

3.2. Morphologie

Das Futur ist (aus volkslat. Infinitiv + finite Form von habere) erneuert, die synthetischen Formen sind fertig in SE salvarai, prindrai.

Es gibt einige fränkische Derivationssuffixe im Französischen:

3.3. Syntax

Nominalsyntax:

Personalpronominalsyntax:

Adverb:

Die Bildung von Adverbien aus Adjektiven folgt dem gemeinromanischen Muster (s. Kap. 4.3).

3.4. Lexikon

Das französische Lexikon ist grundsätzlich gemeinromanischer und somit letztlich lateinischer Herkunft. Es ist jedoch stärker als das Lexikon anderer romanischer Sprachen mit Entlehnungen aus dem Gallischen und germanischen Sprachen, vor allem dem Fränkischen, durchsetzt:

Zahlreiche Beispiele fränkischer Lehnwörter in Rickard 1989:11.

Viele Farbadjektive sind germanischer Herkunft (während 1000 Jahre später das Deutsche viele Farbadjektive aus dem Französischen entlehnte):

In der Normandie gibt es seit dem Normanneinfall 896 einige normannische und später auch angelsächsische Lehnwörter, z.B. die Termini für die Himmelsrichtungen.




1 'K' = Konsonant, 'V' = Vokal, '·' = Silbengrenze, ''' = Akzent (auf folgender Silbe)