Syntagmen

Syntax ist der Teil der Grammatik, der die Struktur von Einheiten betrifft, die mehr als eine Wortform umfassen. Solche größeren Einheiten heißen Syntagmen (“Wortgruppen”), einschließlich Sätze.

B1.[ Die junge Professorin ] [ stürmte vehement [ in den tosenden Hörsaal ] ].

In B1 sind Syntagmen durch eckige Klammern bezeichnet. Jedes Syntagma gehört einer syntaktischen Kategorie an. Z.B. ist die junge Professorin ein Nominalsyntagma (“Nominalgruppe”); in den tosenden Hörsaal ist ein Adverbial, stürmte vehement in den tosenden Hörsaal ist ein Verbalsyntagma, und das ganze B1 ist ein Satz. Syntagmen können also Syntagmen enthalten.

Ein Verbalsyntagma hat ein Verb als Kern. Ein Nominalsyntagma kann ein Substantiv, ein Adverbial kann ein Adverb als Kern enthalten. Das muß aber nicht so sein. Denn solche Typen von Syntagmen – eben die syntaktischen Kategorien – sind nicht durch ihre innere Zusammensetzung definiert, sondern durch ihr kombinatorisches Potential, d.h. durch die spezifische Weise, in welcher sie mit anderen Syntagmen zu Sätzen kombiniert werden.

B2.Erna [ schläft [ ganz unten ] ].
B3.Erna [ schläft [ unter dem Tisch ] ].

Z.B. basiert das Adverbial in B2 auf einem Adverb (unten). Das Syntagma unter dem Tisch in B3 enthält kein Adverb, kombiniert sich aber ganz ebenso wie das Adverbial von B2 mit einem Verb zu einem Verbalsyntagma und ist aus diesem Grunde ebenfalls ein Adverbial.

Nicht-flektierende Wortarten

In dem Kapitel über Morphologie waren eingangs auch solche Wortarten aufgeführt worden, die nicht flektieren und die deshalb in der Flexionsmorphologie nicht weiter zu behandeln waren. Sie werden hier nachgeholt.

Alle diese Wortarten wurden traditionell unter dem Begriff ‘Partikel (i.w.S.)’ zusammengefaßt. Für die meisten davon existieren aber spezifischere Begriffe, die fast immer verwendet werden. Dadurch bleibt der Ausdruck ‘Partikel (i.e.S.)’ für solche Partikeln i.w.S. reserviert, welche keine der die anderen Wortarten definierenden Eigenschaften haben.

Adverb

Flexion des Terminus: das Adverb, des Adverbs, die Adverbien.

Ein Adverb (“Umstandswort”) ist ein Wort, das – qua Mitglied dieser Wortart – ein Verb, Adjektiv oder Adverb modifizieren kann. In den folgenden Beispielen ist das Adverb unterstrichen:

In anderen Sprachen werden Adverbien regelmäßig von Adjektiven abgeleitet, wie z.B. Englisch high – highly, Französisch haut – hautement. Im Deutschen bleibt die adverbiale Funktion eines Adjektivs i.a. unbezeichnet, wie in hoch erfreut. Einige Adverbien sind aber auf -lich abgeleitet, wie höchlich, andere auf -weise, wie dummerweise.

Präposition

Eine Adposition (“Verhältniswort”) ist ein Wort, das – qua Mitglied dieser Wortart – mit einem von ihm abhängenden Nominalsyntagma kombiniert wird und mit diesem zusammen ein Syntagma bildet, das als Adverbial fungieren kann. Z.B. ist in in B1 eine Adposition, denn von diesem Wort hängt den tosenden Hörsaal ab, und das so gebildete Syntagma in den tosenden Hörsaal fungiert als Adverbial. Letzteres sieht man daran, daß an seiner Stelle ebensogut ein Adverb stehen könnte, wie in die junge Professorin stürmte vehement herein.

Eine Adposition bestimmt den Kasus ihres Komplements. S.u. zur Kasusrektion von Adpositionen.

Eine Präposition ist eine Adposition, die dem abhängigen Nominalsyntagma vorangeht und mit ihm zusammen ein Präpositionalsyntagma bildet, wie z.B. in. Eine Postposition ist eine Adposition, die dem abhängigen Nominalsyntagma folgt, wie z.B. nach in meiner Meinung nach. (Der gelegentlich dafür anzutreffende Ausdruck “nachgestellte Präposition” ist unsinnig.)1

Eine Adposition drückt die Beziehung des von ihr abhängigen Nominalsyntagmas zu dem Syntagma aus, von dem das ganze Adverbial abhängt. Vergleiche damit die ganz ähnliche Definition von Kasus.

Konjunktion

Eine Konjunktion (“Bindewort”) ist ein Wort, das – qua Mitglied dieser Wortart – mit einem Satz kombiniert wird und dessen Beziehung zu einem benachbarten Satz bezeichnet. Eine subordinierende (unterordnende) Konjunktion (auch: Subjunktion) bildet mit ihrem Satz zusammen einen Nebensatz, der von dem anderen Satz abhängt und mit ihm zusammen ein Satzgefüge bildet. Eine koordinierende (nebenordnende) Konjunktion bildet mit ihrem Satz zusammen einen selbständigen Satz, der mit dem anderen Satz zu einer Satzreihe kombiniert wird.

Die Funktion einer subordinierenden Konjunktion ähnelt stark der einer Adposition.

B4.Erna ist, [seit sie geschieden ist], ganz glücklich.
B5.Erna ist [seit ihrer Scheidung] ganz glücklich.

Seit ist in B4 Konjunktion, in B5 Präposition. Der Unterschied besteht nur in der Kategorie des von seit abhängigen Syntagmas: ein Satz im ersten, ein Nominalsyntagma im zweiten Fall.

Interjektion

Eine Interjektion ist ein Wort, das – qua Mitglied dieser Wortart – einen ganzen Satz repräsentiert. Z.B. hat B7 dieselbe semantische und syntaktische Funktion wie B6.

B6.Tja, da bist du hingefallen.
B7.Plumps!

Übrigens ist auch tja in B6 eine Interjektion.

Partikel i.e.S.

Flexion des Terminus: die Partikel, der Partikel, die Partikeln.2

Die Partikel i.e.S. läßt sich nicht ordentlich definieren, denn es handelt sich nach dem oben Gesagten um eine Papierkorbkategorie. D.h., alle nicht-flektierbaren Wörter, welche in keine der vorgenannten Kategorien fallen, sind Partikeln i.e.S. Zwei Arten davon sind wichtig:

Eine Modalpartikel (oder “Abtönungspartikel”) ist eine Partikel, die die Bedeutung ihres Satzes abtönt dadurch, daß sie sie zu dem bisherigen Informationsstand in Beziehung setzt. So läßt sich die Bedeutung von wohl in B8 umschreiben durch Nach allem, was ich jetzt erfahren habe, muß ich annehmen, daß (du verrückt geworden bist).

B8.Du bist wohl verrückt geworden!
B9.Du hast [nur drei Stunden] geschlafen.

Eine Fokuspartikel ist eine Partikel, die sich mit dem Syntagma kombiniert, auf das es dem Sprecher ankommt, und besagt, daß der Satz auf dieses in besonders bedingter Weise (nicht) zutrifft. So läßt sich B9 paraphrasieren durch Du hast [ nicht mehr als drei Stunden ] geschlafen.

Syntaktische Funktionen

Jedes Syntagma hat eine bestimmte Beziehung zu dem ihn umgebenden Satz, im einfachsten Falle zu genau einem benachbarten Syntagma. Diese Beziehung ist seine syntaktische Funktion. Ein Syntagma als Träger einer bestimmten syntaktischen Funktion ist ein Satzglied bzw., wenn es nicht unmittelbar vom Verb abhängt, ein “Teilglied” (lt. Drosdowski et al. 1984:596). Im folgenden werden die wichtigsten syntaktischen Funktionen behandelt.

Die syntaktischen Beziehungen zwischen Satzgliedern sind häufig derart, daß eines von einem anderen abhängt. Eine besondere Art der Abhängigkeit wiederum ist die Rektion. Wenn die syntaktische Funktion und die grammatischen Eigenschaften eines Satzgliedes gänzlich von einem anderen bestimmt werden, so sagt man, letzteres regiere ersteres.

B10.Erna bedarf [ unseres Beistandes ].
B11.Erna ist ganz [ von [ der Rolle ] ].

In B10 regiert das Verb das abhängige Satzglied unseres Beistandes; gerade deswegen steht letzteres Syntagma im Genitiv. Deshalb sagt man auch, bedürfen regiere den Genitiv. In B11 regiert die Präposition von das Nominalsyntagma, mit welchem zusammen sie ein Adverbial ergibt. Dieses Nominalsyntagma steht daher im Dativ, und so sagt man auch, von regiere den Dativ.

Subjekt und Prädikat

Ein einfacher Satz zerfällt in Subjekt (“Satzgegenstand”) und Prädikat (“Satzaussage”), so wie die Klammerung in B12 verdeutlicht.

B12.[ Die junge Professorin ] [ stürmte vehement in den tosenden Hörsaal ].

Das Subjekt ist das Satzglied, über welches das Prädikat etwas aussagt; das Prädikat ist das Satzglied, welches etwas über das Subjekt aussagt. Wie man sieht, sind diese beiden Begriffe korrelativ und die Definitionen somit notwendigerweise zirkulär.

Gelegentlich wird gesagt, in B12 sei stürmte das Prädikat. Das ist nicht so; stürmte ist das Prädikatsverb (oder Hauptverb oder finite Verb) des Satzes.3

Direktes Objekt

Das direkte Objekt ist dasjenige Satzglied, welches Subjekt wird, wenn man den Satz ins Passiv setzt (Weiterführendes anderswo).

B13.a.Erna gab dem Mädchen den Topf.
b.Der Topf wurde dem Mädchen von Erna gegeben.
c.*Das Mädchen wurde von Erna den Topf gegeben.

Wenn man B13.a passiviert, resultiert B13.b (oder eine Wortstellungsvariante davon). Das Subjekt von B13.b ist der Topf. Folglich war den Topf in B13.a das direkte Objekt. Der Stern vor einem Ausdruck besagt, daß dieser nicht den grammatischen Regeln der Sprache entspricht (“ungrammatisch ist”).

B14.a.Linda gave the girl the pot.
b.The girl was given the pot by Linda.

In dem englischen Gegenstück zu B13 entsteht bei Passivierung B14.b. Hier ist the girl Subjekt; folglich war es in B14.a direktes Objekt.4 (The pot was given to the girl by Linda ist nicht das Passiv zu B14.a, sondern zu Linda gave the pot to the girl.)

Das direkte Objekt wird in der Schulgrammatik einschließlich Duden und Schülerduden “Akkusativobjekt” genannt.

B15.a.Erna schlief [ den ganzen Tag ].
b.*Der ganze Tag wurde von Erna geschlafen.

Allerdings trifft es zu, daß solche direkten Objekte, welche überhaupt nach Kasus flektieren, im Deutschen im Akkusativ stehen.

Ob ein Satz ein direktes Objekt enthalten kann, hängt von der Rektion seines Hauptverbs ab. Einige Verben wie treffen nehmen ein direktes Objekt; andere wie folgen nehmen keines. Die ersteren heißen transitiv, die letzteren intransitiv. Für diese Begriffe ist es irrelevant, wie die Rektion des Verbs im übrigen beschaffen ist. Z.B. können sowohl transitive als auch intransitive Verben ein indirektes Objekt nehmen.

Indirektes Objekt

Das indirekte Objekt ist ein Objekt, das semantisch und strukturell wie folgt bestimmt ist:

Im Deutschen unterscheidet sich das indirekte Objekt vom direkten dadurch, daß es bei Passivierung nicht Subjekt wird. Vom präpositionalen Objekt unterscheidet es sich dadurch, daß es im Dativ steht. Auch hier gilt jedoch, daß es deswegen noch lange nicht Dativobjekt heißt (so wie abermals im Duden und Schülerduden), denn einerseits stehen zahlreiche vom Verb abhängige Nominalsyntagmen im Dativ, welche nicht indirektes Objekt sind, und andererseits haben zahlreiche Sprachen wie z.B. Französisch ein indirektes Objekt, die gar keinen Dativ haben.

Andere Objekte

Diejenigen von einem Verb abhängigen Syntagmen, welche von ihm regiert werden, heißen Komplement. Alle außer dem Subjekt kann man Objekt nennen. Einige von diesen werden bloß durch einen bestimmten Kasus markiert. Im Deutschen bleibt dafür – nach Erledigung des direkten und indirekten Objekts – nur der Genitiv. In B16 liegt ein Genitivobjekt (oder Genitivkomplement) vor.

B16.Erna gedachte Erwins.
B17.Erna verließ sich auf Erwin.

Das Komplement in B17 wird mithilfe einer Präposition angeschlossen und heißt deshalb präpositionales Objekt (oder präpositionales Komplement).

Adverbiale Bestimmung

Eine adverbiale Bestimmung eines Verbs ist ein von ihm abhängendes, aber nicht von ihm regiertes Adverbial, welches die bezeichnete Situation näher charakterisiert. Die geklammerten Syntagmen in B2 – B5 und B15.a sind Beispiele für adverbiale Bestimmungen.

Adverbiale Bestimmungen werden eingeteilt nach ihrer semantischen Beziehung zum übergeordneten Verb bzw. zum ganzen Satz.

Neben den aufgeführten kommen noch weitere vor; es gibt keine etablierte semantische Klassifikation.

Da adverbiale Bestimmungen per definitionem keine Komplemente sind, enthält auch keines der Beispiele in der vorangegangenen Tabelle ein präpositionales Objekt.

Kriterien der Unterscheidung der Komplemente von adverbialen Bestimmungen werden anderswo besprochen.

Attribut

Die wichtigsten syntaktischen Funktionen sind die Funktionen der vom Verb abhängigen Satzglieder. Daneben gibt es Syntagmen, die von einem Substantiv abhängen. Die wichtigsten davon sind die Attribute. Ein Attribut ist ein Ausdruck, der von einem Substantiv oder einem nominalen Ausdruck abhängt, indem er diesen modifiziert. Z.B. sind drei in B9, junge in B12 und ganzen in B15 Attribute, und zwar, da sie ein Adjektiv (oder ein Numerale) als Kern haben, Adjektivattribute. Daneben gibt es Genitivattribute (oder possessive Attribute) und präpositionale Attribute, wie in B18.5

B18.a.Wir kennen die [ Landschaften [ Argentiniens ] ].
b.Wir kennen die [ Landschaften [ von Argentinien ] ].

Argentiniens in B18.a ist Genitivattribut zu Landschaften; dieses ist sein Bezugsnomen. Ähnlich ist von Argentinien in B18.b präpositionales Attribut zu demselben Bezugsnomen.

Wortarten und syntaktische Funktionen

Wortarten und syntaktische Funktionen werden oft verwechselt. Daher zum Schluß noch zwei Beispiele:

B19.a.Erna verfolgt den Wolf.
b.Der Wolf verfolgt Erna.

Das Wort Erna ist ein Substantiv. Das gilt unabhängig davon, in welchem Satz es in welcher Funktion auftritt; d.h. es ist in B19.a und b und überhaupt immer ein Substantiv. Dieses Substantiv fungiert in B19.a als Subjekt, in B19.b als direktes Objekt. Seine Satzgliedfunktion hängt von dem Satz ab, in dem es jeweils vorkommt.

B20.a.der beige Pullover
b.der Pullover ist beige

Das Wort beige ist ein Adjektiv. Das gilt unabhängig davon, in welchem Satz es in welcher Funktion auftritt; d.h. es ist in B20.a und b und überhaupt immer ein Adjektiv. Adjektive können u.a. in attributiver und prädikativer Funktion auftreten. Das Adjektiv beige fungiert in B20.a als Attribut, in B20.b als Prädikatsnomen. Seine syntaktische Funktion hängt von dem Satz ab, in dem es jeweils vorkommt.

Kongruenz

Die Werte vieler Flexionskategorien, die an Wörtern im Satz auftreten, werden von der Syntax des Satzes bestimmt. Wir sahen das bereits für Kasus, welche vom übergeordneten Verb regiert werden. Manchmal stimmt ein Wort in den Werten seiner Flexionskategorien mit einem anderen Wort im Satz, auf das es sich bezieht, überein. Dieses Verhältnis heißt Kongruenz: ein Satzglied kongruiert mit einem anderen (von dem es nicht regiert wird) in bestimmten Flexionskategorien. Im einzelnen bestehen im Deutschen folgende Kongruenzverhältnisse:

Kongruenz
Kongruenzbeziehungbetroffene FlexionskategorienBeispiel
verbales Prädikat mit SubjektPerson, Numerusdu träumst
Determinator/Adjektivattribut mit BezugsnomenGenus, Numerus, Kasusmeine Hütte;
altes Haus
Pronomen mit bezogenem nominalen Ausdruck
anaphorisches PronomenPerson, Genus, NumerusErna träumte nicht, sie wachte
RelativpronomenGenus, NumerusTurm, den wir sahen
ReflexivpronomenPerson, Numeruswir freuen uns

Satztypen

Jeder selbständige Satz gehört einem Satztyp (“Satzart”) an. Das ist eine grammatische Kategorie, die den Redehandlungswert des Satzes kodiert, d.h. das, was der Sprecher mit der Äußerung des Satzes bezweckt bzw. nach den Konventionen bewirken kann.

Der Befehlssatz heißt auch Aufforderungssatz. Wunschsätze wie Wenn doch Erna käme! sind eine Art von Ausrufesätzen; eine andere Art wird von Beispielen wie Mann, was für ein heißer Ofen! illustriert.

Wenn ein selbständiger Satz zum Nebensatz wird, bleibt sein Satztyp, allerdings nicht sein Redehandlungswert erhalten. Dies wird bei den Komplementsätzen besprochen.

Zusammengesetzter Satz

Ein zusammengesetzter (oder komplexer) Satz besteht aus mindestens zwei Teilen, die ebenfalls Sätze sind (die ihrerseits zusammengesetzt sein können). Hängt einer der beiden vom anderen ab, so ist ersterer der Nebensatz, letzterer der Hauptsatz, und der zusammengesetzte Satz ist ein Satzgefüge. Andernfalls sind die beiden Teilsätze nebengeordnet, und das Ganze ist eine Satzreihe, wie in B21.

B21.Erna kommt, aber wir sind nicht froh.

Wir konzentrieren uns im folgenden auf die Satzgefüge. Ein Nebensatz hat eine syntaktische Funktion gegenüber dem Hauptsatz oder einem der in ihm enthaltenen Syntagmen, und zwar eine syntaktische Funktion von derselben Art, wie sie auch den zuvor besprochenen nicht satzartigen Syntagmen zukommt. Man hat daher zunächst zu unterscheiden zwischen solchen Nebensätzen, die vom übergeordneten Verb abhängen (oder gar auf den Hauptsatz als ganzen bezogen sind), und solchen, die von einem nominalen Ausdruck (im Hauptsatz) abhängen. Die ersteren zerfallen in solche, die vom Verb regiert werden, und solche, die das Verb modifizieren. Von diesen heißen die ersteren Komplementsatz (“Ergänzungssatz”), die letzteren Adverbialsatz.

Komplementsatz

Ein Komplementsatz ist ein Nebensatz, welcher vom übergeordneten Verb regiert wird. In dieser Funktion vertritt er ein Nominalsyntagma, und deshalb heißt er auch nach seiner Kategorie Substantivsatz. Es folgen die beiden wichtigsten Arten von Komplementsätzen.

Ein Subjektsatz fungiert als Subjekt des Hauptsatzes. Man kann das feststellen, indem man ihn durch ein einfaches Nominalsyntagma oder bloß ein Pronomen ersetzt, dessen Subjektstatus man dann leichter anhand der üblichen Kriterien überprüfen kann (z.B. das ist unwahrscheinlich). Entsprechendes gilt für den Objektsatz, der als direktes Objekt des Hauptverbs fungiert. Daneben gibt es noch Komplementsätze, die andere vom Verb abhängige Satzglieder vertreten.

Substantivsätze gehören ebenso wie selbständige Sätze Satztypen an. Den obigen selbständigen Sätzen entsprechen die folgenden Nebensätze:

Nur abhängige Exklamativsätze gibt es nicht.

Selbständige Sätze werden vor allem in der indirekten Rede in abhängige Sätze überführt. Angenommen z.B., Erwin frage Kommt Erna?, und später berichte ich über Erwins Sprechakt. Dann kann ich in indirekter Rede formulieren: Erwin fragte, ob Erna komme.

Bei der Überführung eines selbständigen Satzes in einen Substantivsatz bleibt zwar der Satztyp erhalten; aber der Redehandlungswert geht verloren. D.h. durch einen selbständigen Interrogativsatz stellt der Sprecher eine Frage, aber durch einen abhängigen Interrogativsatz stellt er keine.

Adverbialsatz

Ein Adverbialsatz ist ein Nebensatz, der die Funktion einer adverbialen Bestimmung im Hauptsatz hat. Adverbialsätze werden oft auch “Konjunktionalsätze” genannt, weil sie (im Deutschen) durch eine Konjunktion eingeleitet werden.

Adverbialsätze können dieselben semantischen Beziehungen zum Hauptverb bzw. zum Hauptsatz haben wie die oben dargestellten nicht-satzartigen Adverbialien, und dazu noch einige Beziehungen mehr, die nur zwischen Sätzen bestehen.

Adverbialsätze
semant. FunktionVerdeutschungBeispiel
KonditionalsatzBedingungssatzFalls Erna kommt, gehe ich.
LokalsatzOrtsbestimmungssatzWo Erna gesessen hatte, war ein kobaltblauer Fleck.
TemporalsatzZeitbestimmungssatzNachdem Erna gekommen war, ging alles in Ordnung.
ModalsatzUmstandssatzErna unterstützte Erwin, indem sie seinen Chef außer Gefecht setzte.
FinalsatzAbsichtssatzErna unterstützte Erwin, damit er studieren konnte.
KausalsatzBegründungssatzDa Erna schon mal da ist, kann sie auch abwaschen.
KonzessivsatzEinräumungssatzObwohl Erna kam, blieb alles beim alten.
KonsekutivsatzFolgesatzErwin stellte Erna ein Bein, so daß sie hinfiel.
AdversativsatzEntgegensetzungssatzErwin machte nach sechs Semestern Examen, während Erna sechzehn Semester brauchte.
KomparativsatzVergleichssatzErna ist so breit, wie Erwin lang ist.

Im Konditionalsatz werden Modalitäten unterschieden. Ein realer Konditionalsatz ist ein solcher, wo das Eintreten der Bedingung eine reale Möglichkeit ist, wie in B22.a.

B22.a.Wenn du fleißig bist, kannst du die Klausur schaffen.
b.Wenn du fleißig wärst, könntest du die Klausur schaffen.

Ein irrealer Konditionalsatz dagegen impliziert, daß die Bedingung nicht erfüllt ist, wie in B22.b.

Temporalsätze werden nach ihrem Zeitverhältnis zum übergeordneten Satz eingeteilt. Liegt der im Temporalsatz gemeinte Zeitpunkt (oder Zeitraum) vor dem im übergeordneten Satz gemeinten Zeitpunkt/-raum (wie in B23.a), so ist der Nebensatz vorzeitig. In B23.b ist der Temporalsatz gleichzeitig. Liegt der im Temporalsatz gemeinte Zeitpunkt nach dem im übergeordneten Satz gemeinten Zeitpunkt (wie in B23.c), so ist der Temporalsatz nachzeitig.

B23.a.Nachdem Erna gegangen war, war alles in Ordnung.
b.Solange Erna da war, war alles in Ordnung.
c.Bevor Erna kam, war alles in Ordnung.

Wie man sieht, führen die in B23 benutzten Konjunktionen über die Begriffe der Vor- und Nachzeitigkeit in die Irre.6

Attributsatz

Ein Nebensatz, der von einem nominalen Ausdruck – seinem Bezugsnomen – abhängt, ist dessen Attribut und folglich ein Attributsatz. Es gibt davon die beiden folgenden Arten:

Attributsätze
FunktionBeispiel
RelativsatzErwin vertraute dem [ Arzt, [ den Erna empfohlen hatte ]].
adnominaler SubstantivsatzEs bleibt das [ Problem, [ daß Erna nie Medizin studiert hat ]].

Wie die Klammerung andeutet, bildet ein Attributsatz ein Syntagma mit seinem Bezugsnomen. Die beiden Arten von Attributsätzen unterscheiden sich dadurch, daß das Bezugsnomen im Relativsatz eine semantische Rolle spielt; die ihr entsprechende syntaktische Funktion wird im Deutschen durch das Relativpronomen, nämlich durch dessen Kasus angezeigt. Die syntaktische Beziehung eines Relativsatzes zum Bezugsnomen ähnelt der eines Adjektivattributs. Ein Relativsatz ist oft durch eine Partizipialkonstruktion ersetzbar, z.B. Erwin vertraute dem [[ von Erna empfohlenen ] Arzt ], bei welcher der Attributstatus deutlicher ist.

Beim adnominalen Substantivsatz hat das Bezugsnomen keine semantische oder syntaktische Funktion innerhalb seiner. Seine syntaktische Beziehung zum Bezugsnomen ähnelt der eines Genitiv- bzw. präpositionalen Attributs, etwa in es bleibt das [ Problem [ von Ernas fehlendem Medizinstudium ]]. Strukturell jedoch ist ein adnominaler Substantivsatz im Deutschen eine Apposition zu seinem Bezugsnomen.

Relativsätze werden im Deutschen durch ein Relativpronomen eingeleitet. Dieses hat – von einer Ausnahme im Genitiv Plural deren abgesehen – dieselbe Form wie entweder das Demonstrativpronomen der oder das Interrogativpronomen welcher. Auch hier gilt wieder, daß der Relativsatz nicht durch seine innere Zusammensetzung – etwa durch das Relativpronomen –, sondern durch seine Funktion im Satz definiert ist.

Attribute können durch Weglassung des Bezugsnomens substantiviert werden. Bei Adjektivattributen wie in B24 geht das ohne weiteres.

B24.a.die alten Leute
b.die Alten
B25.a.Jemand, der andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.
b.Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.

Bei Relativsätzen ohne Bezugsnomen, wie in B25.b, nimmt das Relativpronomen unter bestimmten Bedingungen die Form des Interrogativpronomens an. Es sind aber weiterhin Relativsätze und nicht etwa (abhängige) Interrogativsätze.

Wenn man bei adnominalen Substantivsätzen das Bezugsnomen wegläßt, bekommt man – falls das Resultat überhaupt eine grammatische Konstruktion ist – einfach einen Komplementsatz, z.B. einen Subjektsatz wie in es bleibt, daß Erna nie Medizin studiert hat.

Infinite Konstruktionen

Die bisher gesehenen subordinierten Sätze haben mit selbständigen Sätzen gemeinsam, daß ihr Hauptverb finit ist. Neben ihnen stehen subordinierte Konstruktionen, deren Kern ein infinites Verb ist. Beide Arten von infiniten Verben, nämlich Partizipien und Infinitive, werden so verwendet.

B26.a enthält an erster Stelle ein Partizipial. Die Paraphrase durch B26.b zeigt, daß es ungefähr wie ein Modalsatz oder ein gleichzeitiger Temporalsatz fungiert.

B26.a.Sorgsam das Tablett balancierend, betrat Erna das Wohnzimmer.
b.Indem sie sorgsam das Tablett balancierte, betrat Erna das Wohnzimmer.

B27.a zeigt eine durch um zu eingeleitete Infinitivkonstruktion. Sie hat eine finale Funktion, auch wenn die Ersetzung durch einen Finalsatz, wie in B27.b, nicht ganz befriedigt.

B27.a.Erwin studiert, um Taxifahrer zu werden.
b.?Erwin studiert, damit er Taxifahrer wird.

In B28.a liegt eine nur mit zu eingeleitete Infinitivkonstruktion vor, die – wie der Objektsatz in B28.b – als direktes Objekt des übergeordneten Verbs fungiert.

B28.a.Erna glaubt gewonnen zu haben.
b.Erna glaubt, daß sie gewonnen hat.

Daß man die Wahl zwischen B28.a und b hat, ist eine Eigenschaft des Verbs glauben. Andere Verben wie sich bemühen, wie in B29, lassen überhaupt nur eine Infinitivkonstruktion zu.

B29.a.Erna bemüht sich, einen guten Eindruck zu machen.
b.*Erna bemüht sich, daß sie einen guten Eindruck macht.

Solche infiniten Konstruktionen werden auch Partizipialsätze und Infinitivsätze genannt. Infinite Verben nehmen allerdings kein Subjekt, was dazu paßt, daß sie ja auch keine Personalflexion aufweisen. Ob man Konstruktionen, die kein Subjekt haben können, Sätze nennen soll, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Reflexivität und Reziprozität

Ein Pronomen der dritten Person repräsentiert im einfachsten Falle eine Entität, die die Gesprächspartner identifizieren können, z.B. weil sie im vorangehenden Satz erwähnt wurde. So kann sich das Pronomen sie in B30.a auf ein weibliches Wesen beziehen, das im vorangehenden Text genannt wurde. Es kann sich allerdings nicht auf Erna beziehen, die im selben Satz genannt wird.

B30.a.Erna liebt sie.
b.Erna liebt sich.
c.Du liebst dich.

Wenn ein nominaler Ausdruck, der in einer Nicht-Subjektsfunktion vom Verb abhängt, dasselbe bezeichnet wie dessen Subjekt, so ist die Beziehung zwischen ihnen reflexiv (“rückbezüglich”). Sind das Ausdrücke der dritten Person, so wird der Ausdruck in Nicht-Subjektsfunktion in vielen Sprachen einschließlich Deutsch durch ein besonderes Pronomen, das Reflexivpronomen, repräsentiert, so wie in B30.b. Besteht das gleiche Verhältnis zwischen Ausdrücken der ersten oder zweiten Person, wie in B30.c, so gibt es im Deutschen keine besondere Form des Pronomens, und es tritt das Personalpronomen ein.

Manche Verben wie das in B31 haben stets ein Personalpronomen in einer Nicht-Subjektsfunktion dabei, welches in der dritten Person das Reflexivpronomen ist.

B31.a.Du schämst dich.
b.Erna schämt sich.

Solche Verben sind strukturell reflexiv, ohne dass ein reflexives Verhältnis bezeichnet würde, da man nicht jemanden schämen kann.

Wenn die vom Verb ausgedrückte Beziehung zwischen seinem Subjekt und einem anderen Komplement gleichzeitig in der umgekehrten Richtung besteht, so dass, was A dem B tut, auch B dem A tut, so ist sie reziprok (“wechselseitig”). Eine solche Beziehung kann man kodieren, indem man A und B im Subjekt des Verbs koordiniert (mit und verbindet) und in der Funktion des Komplements das reziproke Pronomen, im Deutschen einander, einsetzt, wie in B32.a.

B32.a.Erna und Erwin lieben einander.
b.Erna und Erwin lieben sich.

Anstelle des reziproken Pronomens wird oft auch das Reflexivpronomen verwendet, wie in B32.b. Solche Sätze sind dann gelegentlich zweideutig, wenn das bezeichnete Verhältnis sowohl reziprok als auch reflexiv sein kann.

Kartoon von Rabenau

1 Die Duden-Grammatik von 1984 kennt weder das Phänomen noch den Begriff noch den Terminus der Postposition.

2 Dies ist der linguistische Terminus, dessen Genus und zugehörige Deklination am häufigsten falsch gebraucht werden. Wenn Sie glauben, es hieße das Partikel, befinden Sie sich u.a. in der guten Gesellschaft halbgebildeter Linguistikprofessoren.

3 Drosdowski et al. 1984:567 setzen ausdrücklich das Gegenteil fest. Weiteres zum Problem der Gegenüberstellung von Subjekt und Prädikat in Morphologie und Syntax.

4 Wiewohl also B13.a und B14.a übersetzungsäquivalent sind und dem Mädchen in B13.a indirektes Objekt ist, ist sein Gegenstück in B14.a kein indirektes Objekt. Syntaktische Funktionen können in übersetzungsäquivalenten Ausdrücken verschieden sein, selbst wenn die beteiligten Sprachen im Prinzip einander entsprechende syntaktische Funktionen haben. Darüber hinaus ist es aber fraglich, ob Englisch überhaupt ein indirektes Objekt hat.

5 Es kursiert auch – vor allem in der Germanistik, z.B. im Duden – ein weiterer Begriff von ‘Attribut’, wo jeglicher Dependent, der nicht von einem Verb abhängt, so heißt. Ein solcher Begriff wird hier nicht benötigt.

6 Intuitiver sind die lateinischen (und internationalen) Bezeichnungen der Zeitverhältnisse, die die Beziehung des Hauptsatzes zum Nebensatz bezeichnen (und nicht, wie die deutschen Bezeichnungen, die umgekehrte Beziehung). Danach ist eine Beziehung wie in B23.a posterior und eine wie in B23.c anterior.